Kundenerwartungen im digitalen Wandel

Am Smart Business Day 2015 wagten die Referenten einen Blick auf die digitale Transformation durch die Brille der Endkunden. Die Werbewoche hat mit Christiane Lehrer, Leiterin Competence Center Social CRM an der Universität St. Gallen, und Jürg Stuker, CEO von Namics, über die neuen Möglichkeiten der Kundenbindung gesprochen.

Der digitale Wandel verändert auch die Erwartungen der Kunden. Und die Wünsche der Kunden haben sich fundamental gewandelt. «Die Kunden erwarten von einem Unternehmen heutzutage einen konsistenten und kontextbasierten Auftritt über alle Kanäle hinweg sowie flexible Bezahl- und Lieferoptionen», sagt Markus Wenger, Country Manager Customer Engagement & Commerce bei Hybris/SAP Switzerland, und ergänzt: «Wer ihnen das nicht bieten kann, hat sie schon verloren. Der Wettbewerb ist schliesslich nur einen Klick entfernt.» Rund um dieses Thema haben am Smart Business Day diverse Referenten praxisnahe Vorträge gehalten und Impulse für moderne Unternehmen gegeben. Simon Lehmann, CEO von Biketec, und Christiane Lehrer, Leiterin Competence Center Social CRM an der Universität St. Gallen, rückten die grössten Herausforderungen und Möglichkeiten der Kundenerwartung im digitalen Wandel in den Fokus. Christian Wiesendanger, Leiter Wealth Management bei der UBS Schweiz, gab Einblicke in den Einfluss der digitalen Strategie der Bank auf das Geschäft der Vermögensverwaltung. Kilian Eyholzer, Global Head of eCommerce bei Victorinox, sprach über die Grundelemente der Multi-Channel-Strategie des weltweit tätigen Familienunternehmens und diskutierte Chancen und Herausforderungen von deren Implementierung. Michael Kocher, Head of Information Technology bei Mammut, führte aus, wie das Unternehmen für Outdoor-Ausrüstung durch die Chancen der Digitalisierung nun Schritt für Schritt den direkten Dialog zum Endkunden erschliesst. Markus Steinke, Group Vice President Marketing bei Metrohm, sprach über die veränderten Kundenerwartungen im B2B-Umfeld des internationalen Konzerns in den vergangenen Jahren.

Social Media im Kundenbeziehungs-Management

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WW: Was sehen Sie anlässlich des Smart Business Day als Hauptherausforderungen?
Christiane Lehrer: Wenn es um die Digitalisierung der Kundeninteraktion geht, sind Themen wie «Mehrwert für den Kunden», «Personalisierung» und «Relevanz» von Informationen und Angeboten sehr zentral. Auch das Thema «Kundenvertrauen» ist in diesem Zusammenhang hochrelevant. Kundenvertrauen spielt gerade auch beim Umgang mit Daten eine sehr wichtige Rolle.

Welche Themen beschäftigen Sie in der Forschung mit Daten aus den Social-Media-Kanälen fürs Kundenbeziehungs-Management aktuell?
Christiane Lehrer: Unter Social CRM verstehen wir einen ganzheitlichen Ansatz, um mit Kunden über neue digitale Kanäle in Dialog zu treten. Anders als beim klassischen CRM hat das Unternehmen nun die Möglichkeit, zum Beispiel durch Social Media die Kundenbeziehung auf das soziale Umfeld des Kunden auszuweiten. Ziel ist es zum einen, den Kunden über die Kanäle abzuholen, die für ihn relevant sind. Zum anderen möchten Unternehmen auch mehr über den Kunden erfahren, um ihn auf Basis seiner Wünsche und Bedürfnisse möglichst passgenau zu bedienen. Viele Unternehmen stehen jedoch vor der Herausforderung, das für eine individuelle Kundenansprache nötige Kundenwissen aus den grossen verfügbaren Datenmengen zu generieren.
In einem aktuellen Forschungsprojekt beschäftigt uns deshalb die Frage, wie sich Customer Insights im Rahmen von Social CRM generieren und einsetzen lassen und welche Nutzenversprechen der Kunde erwartet. Da ein blindes Sammeln von Kundendaten aus unserer Sicht nicht sinnvoll ist, nähern wir uns dem Thema mit so genannten Use Cases. In Workshops definieren wir gemeinsam mit unseren Partnerunternehmen Einsatzfelder für «Costumer Insights», die für das jeweilige Unternehmen relevant sind, und zwar immer unter Berücksichtigung der Kundenbedürfnisse. Erst im zweiten Schritt legen wir die Analyseziele fest und überlegen, welche Kundendaten überhaupt benötigt werden und über welche Kanäle die Daten kommen.
Damit hängt auch das zweite aktuelle Forschungsprojekt zum Thema Omnichannel Management zusammen. Denn Social CRM zielt darauf ab, als personifiziertes Unternehmen mit dem Kunden zu interagieren. Dafür müssen Online- und Offline-Kanäle konsistent bespielt und sinnvoll miteinander verknüpft werden. Gleichzeitig können die Touchpoints als Datenquelle für Kundeninformationen dienen. Diese Informationen können wiederum zur Individualisierung der Kundeninteraktion genutzt werden.
«Customer Insights» und «Omnichannel Management» sind aber nur zwei der Themen, die uns beschäftigen. Seit dem Start des Competence Center Anfang 2014 haben wir uns unter anderem mit der Social Media Readiness von Unternehmen und deren Social-CRM-Zielen beschäftigt und ein Modell zur Performance-Messung von Social CRM entwickelt. Aus Kundensicht haben wir die Bedürfnisse des digitalen Konsumenten und die Bedeutung von Privacy untersucht.

Welche Kundendaten sind aus Ihrer Sicht besonders relevant?
Christiane Lehrer: Social Media ist für Social CRM ein wichtiger Aspekt. Soziale Netzwerke enthalten zum Beispiel Informationen über die Bedürfnisse der Kunden, aber auch über Privates wie Hobbies. Hinzu kommen Kunden-Feedbacks zu Marken und Produkten. Bei Daten aus den Sozialen Medien ist sicher die Herausforderung, dass Unternehmen häufig von externen Plattformen abhängig sind. Daher gründen immer mehr Unternehmen ihre eigenen Communities, um die Hoheit über ihre Kundendaten zu haben.
Neben mobilen Daten werden in Zukunft auch Sensor Data an Relevanz gewinnen. Daten, die über Wearables gewonnen werden, von Smartwatches bis hin zu Internet of Things, werden wichtiger. Produkte, die bisher nur einen Verkaufs-Touchpoint hatten, wie etwa eine Kaffeemaschine, werden durch pro-aktive Serviceangebote im sozialen Umfeld des Kunden integriert.

Wenn diese Daten aber nun zu wenig transparent genutzt werden, fühlt sich der Kunde schnell mal überwacht und zieht sich zurück.
Christiane Lehrer: Das stimmt. Insbesondere bei der individuellen, proaktiven Ansprache von Kunden kann man zentrale Fehler machen. Entweder man tritt mit einem falschen Inhalt an den Kunden heran, der für ihn gar nicht relevant ist. Oder man spricht den Kunden zu einem falschen Zeitpunkt an, wie etwa eine Umzugshilfe, obwohl der Kunde bereits vor einem halben Jahr umgezogen ist. Besonders heikel aber sind persönliche Ereignisse, die als Trigger für eine Kundenansprache genutzt werden. Während das Spezialangebot zum Geburtstag für die meisten noch in Ordnung ist, sind Ereignisse wie Hochzeit oder Familiengründung für viele ein Tabu. Mit solchen Triggern muss man daher extrem vorsichtig sein.
Jürg Stuker: Ein gutes Beispiel hierfür ist die neue Facebook-Funktion «Memories». Wenn ein Kunde im eigenen Stream einen alten Post wieder vorgesetzt bekommt, jemand unbedacht den Knopf drückt – und die Datenanalyse dann davon ausgeht, dass dies ein aktuelles Ereignis war. Gerade wenn sich solche Funktionen verändern, zeigt sich jeweils, wie kritisch die Datenanalysen aus den Sozialen Netzwerken noch sind. Zudem ist es auch schwer einzuschätzen, ob die Kunden ihre Daten aus den Sozialen Netzwerken auch wirklich alle sicht- und verwertbar haben wollen oder ob sie teilweise einfach zu wenig darüber informiert sind.

Sie sehen hier noch viel Entwicklungspotenzial?
Christiane Lehrer: Die Qualität von Social-Media-Daten ist aktuell nicht immer befriedigend. Oft ist beispielsweise nicht mit Sicherheit zu sagen, ob die Kundenangaben richtig sind – z. B. gibt nicht jeder seine richtige Adresse, Namen und Geburtsdaten auf Facebook an. Über mobile Apps oder Sensordaten wird es leichter, den Kunden zu identifizieren. Mit diesen Daten wird es möglich sein, bessere Prognosen abzugeben und so eben auch relevantere Kundenansprachen zu generieren.
Jürg Stuker: Es darf dabei jedoch nicht ausser Acht gelassen werden, dass der Kunde schneller misstrauisch wird, je weniger er eine Verbindung herstellen kann zwischen seinen gegebenen Daten und der Verarbeitung. Er fühlt sich schnell unterwandert oder fremdbestimmt. Und gerade im Bereich Mobile ist das heikel, auch wenn die Apps heute Berechtigungen der Datenverwendung erfragen, in der neuen Android-Version als Möglichkeit auch vor der ersten Nutzung. Man gibt jedoch trotzdem über Zugriffsberechtigungen indirekt schnell Informationen frei, die man gar nicht freigeben wollte.
Christiane Lehrer: Da bin ich derselben Meinung: Die Leute sind zunehmend sensibilisiert, weshalb Privacy und Datentransparenz wichtiger werden. Ich glaube auch, dass sich diejenigen Unternehmen differenzieren können, welche jetzt schon verantwortungsvoll damit umgehen.

Interview: Ursina Maurer

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