Das Internet der Dinge

Eine Vielzahl «intelligente» Geräte für Haus und Outdoor kam in den vergangenen Monaten auf den Markt. Sechs Experten von führenden Digitalagenturen berichten über eigene Erfahrungen mit vernetzten Geräten und spekulieren über ihren Einfluss auf das Online Marketing der Zukunft. 

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Peter Rehnke, Managing Director Havas Digital Schweiz:
«Das Internet der Dinge ist im Jahr 2015 einer der bedeutenden Megatrends. Es beginnt mit ganz einfachen Dingen wie mit dem Smartphone steuerbaren Glühbirnen (welche ich selbst auch gerne nutze), SmartTV, Smartwatches, Smartphones und endet tatsächlich beim selbstfahrenden Auto oder Lieferdrohnen, die übers Internet gesteuert werden. Klar gibt es auch die Gadgets wie Backofen und Waschmaschine, die Bratengarzeit und Dauer des Schleuderwaschgangs auf dem Smartphone anzeigen – aber ich bezweifle persönlich, dass diese von der breiten Masse regelmässig genutzt werden. Für die Internetmultis wie Google, Apple, Microsoft und Co. ist das IOT ein ideales Betätigungsfeld. Warum? Diese netten kleinen Geräte wie «Nest» oder Carplay verraten noch mehr, wie sich der Mensch zu Hause und unterwegs verhält. Ideale weitere Behaviour-Attribute, die sich von uns Werbungtreibenden targetieren lassen. Daten werden erhoben, Daten werden vermarktet – mit diesem Fakt müssen wir uns einfach arrangieren. Auch damit, dass diese Daten nicht sicher sind. Mit ein paar Opensource-Programmen wie SnoopyNG, einem Rasperry Pi, einer Drohne und der Forensic Software Maltego lassen sich diese smarten Geräte ausspionieren und Persönlichkeitsprofile erstellen.»

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Roman Hirsbrunner, CEO Jung von Matt/Limmat:
«Das Internet der Dinge ist so was wie das Zielbild der Digitalisierung: Es vereint die zwei zentralen Stossrichtungen der digitalen Revolution, die Identifikation sämtlicher Objekte im physischen Raum (Geolocation) und die Standardisierung des Austausches und der Schnittstellen (Konvergenz). Wir befinden uns erst im ersten Drittel dieser Entwicklung. Laut einer Schätzung von Cisco System sind derzeit rund 12 Milliarden Objekte mit dem Internet verbunden. Schon 2020 werden es 50 Milliarden sein. Zwar steuern wir Licht und Temperatur im Haus über eine App, kontrollieren den Benzinstand im Auto oder lassen Pflanzen automatisch bewässern. Aber so richtig intelligent sind dabei höchstens die einzelnen Systeme in sich, selten aber die Systeme untereinander. Hier wird noch einiges geschehen. Aus der Perspektive des Online Marketing kommen damit schöne Zeiten auf uns zu. Es ergeben sich unzählige neue «Touchpoints», an denen sich Marken nutzenstiftend in den Dialog mit Konsumenten einbringen können. Neue Interfaces und neue Interaktionsformen. Aber auch das Wissen um die Bedürfnisse der Konsumenten wird sich dank mehr hochrelevanten Daten signifikant verbessern. Der Treiber der Entwicklung ist – wie immer – die Technologie. Und die User werden entscheiden, welche der neuen Möglichkeiten sie nutzen. Die Werbung wird sich danach richten.»

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Alexander Horrolt, Managing Director Goldbach Audience:
«Musik-Streaming in allen Räumen, individuell steuerbar über das Handy; Connected TV mit Content wie Netflix; Schnee-Vorhersagen zum bevorzugten Skigebiet auf dem Smartphone; Sportuhren, die neben dem Puls auch gefahrene Pisten- und Höhenmeter sowie Ski-Runs anzeigen – für mich alles längst Normalität. Noch schreiben wir Einkaufslisten, und der Kühlschrank kommuniziert nicht selbstständig mit dem Detail-händler. Aber heute schon ruft mich mein Zahnarzt per SMS zum Routinecheck. Die Vernetzung nimmt zu, wird bezahlbar und wird sich in den nächsten zehn Jahren im Alltag komplett durchsetzen. Der Weg zu zeitgemässer und kostengünstiger Ressourcennutzung steht endlich offen. Wie das Online Marketing das nutzen wird, bleibt vorerst noch ungewiss. Denn die Vorbehalte der Konsumenten gegenüber Werbebotschaften auf den persönlichen Devices zeigen, dass wir bei der Eroberung von Smartwatch, Kühlschrank oder Auto-Display sehr sensibel vorgehen müssen. In der heutigen digitalen Welt sind noch viele Hausaufgaben nicht gemacht. Aktuell sollte das Hauptaugenmerk der Werbeindustrie auf der Konvergenz der bereits etablierten Medien wie TV liegen, hier gilt es Prioritäten zu setzen.»

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Peter van der Touw, CEO Notch Interactive:
«Der Hype rund um IoT ist gross. Dabei ist die Frage, ob intelligente Objekte Eingang in unseren Alltag finden werden, längst entschieden. Man denke an Wearables, Smart Home oder die Automobilindustrie. Als Marketeers stehen wir vor zwei grossen Chancen. Erstens können wir mit IoT Werbebotschaften nahtlos in den Flow des Alltags integrieren – und zwar mit Objekten als Media-Plattformen. Zweitens kann IoT die Beziehung zwischen Brand und Konsument stärken, indem Online-Interaktion und reale Produkterfahrungen fortlaufend verbunden werden. Gleichwohl: Vernetzt ist nicht gleich intelligent. Erst die Hebelwirkung von Big Data Analytics wird den Big Bang für kontextsensitive und gleichzeitig nicht invasive Kommunikation bringen. In naher Zukunft werden IoT-Daten von intelligenten Algorithmen interpretiert und zu einem informierten Bild über die jeweilige Person zusammengefügtwerden. Für Agenturen der Zukunft sind umfangreiche Analytics-Kompetenzen selbstverständlich. Nehmen Sie zum Beispiel dieses Szenario: Als Hobby-Gitarrist spiele ich gerne bestimmte Akkordfolgen, brauche viel «Distortion» und habe eine typische Art des Strummings. Mein Fender-Verstärker könnte diese Daten mit meiner Einwilligung an viele Unternehmen senden. Fender könnte mir dann Angebote für neues Equipment machen, Amazon Angebote für E-Bücher, um das Gitarrenspiel zu verbessern. Kitag würde mir die Dokumentation über die Band Joy Division empfehlen und Starticket die Reunion-Tour von The Police. Ob die Kommunikation in all diesen Fällen erfolgreich ist, ist eine Sache. Gewiss ist jedoch, was Eduard O. Wilson (Sozialbiologe) bemerkt hat: «We have created a Star Wars civilization, with Stone Age emotions, medieval institutions, and godlike technology.»

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Maurizio Rugghia, Managing Director Serranegta:
«Im 2014 ist bereits viel passiert: Bluetooth Low Energy ist sehr populär geworden, und viele Geräte sind auf dem Markt oder zumindest auf Kickstarter angekommen. In den nächsten Jahren werden sich diejenigen Lösungen durchsetzen, welche das Leben vereinfachen und intuitiv bedienbar sind. Haushaltsgeräte sind dafür genauso prädestiniert wie Fitness- oder Mobilitäts-Tools. Bis ein intelligentes «Internet der Dinge» entsteht, werden sicher noch fünf bis zehn Jahre vergehen. Zuerst muss ein universeller Standard etabliert werden, der alle Geräte– unabhängig vom Anbieter – in einem System vernetzt. Durch die zusätzlichen Touchpoints, welche das Internet der Dinge bietet, werden noch mehr individuelle Nutzungsdaten erhoben. Dies eröffnet ganz neue Möglichkeiten für ein gezielteres Targeting. Ich bin überzeugt, Coca-Cola würde mehr Geld für Werbung zahlen, wenn sie in einem Pepsi-Haushalt gezeigt würde. Wir bei Serranetga stellen bereits heute fest, dass eine Verschiebung in Richtung User-zentrierte Marketing-Kommunikation stattfindet. Diese wird in Zukunft datengestützt, automatisiert und in Echtzeit ausgespielt werden und nicht mehr rein manuell zu bewältigen sein. Persönlich pflege ich eine On/off-Beziehung zu meinem Jawbone Up24. Es erinnert mich daran, dass ich mich mehr bewegen sollte.»

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Andreas Widmer, CEO Futurecom interactive:
«Bei uns zu Hause sind verschiedene smarte Geräte im Einsatz, meist im audiovisuellen Bereich. So nutzen wir mit grosser Begeisterung im ganzen Haus das Audiosystem von Sonos; aber auch der Fernseher, das Telefon und der Receiver der Surround-Anlage sind mit dem Internet verbunden. Das gesamte Heimnetzwerkgreift auf einen Medienserver zu, der Fotos, Videos und Dokumente zentral speichert. Weniger smart, aber dennoch sehr hilfreich sind der Rasenmähroboter im Garten und sein Kollege im Haus, der Staubsaugroboter. Beide gehören streng genommen noch nicht zum Internet of Things; sie folgen aber dem grossenTrend, Alltagsgegenstände intelligenter zu machen, und erledigen ihren Job tadellos. Daneben experimentiere ich zurzeit mit intelligenten Glühbirnen, um sie als terminabhängigen Wecker einzusetzen. Ganz generell ist es mein Ziel, möglichst viele Geräte, die am Stromnetz hängen, via Smartphone zusteuern – und sei es auch nur um sicherzustellen, dass sie nicht mehr in Betrieb sind. Der Trend zum Smart Home ist mindestens so bedeutend wie der Wearables-Trend: Schätzungen von Gartner Group zufolge wird es im Jahr 2020 rund 26Milliarden intelligente Devices geben. IP-basierte Smart-Home-Komponenten werden zunehmend proprietäre Systeme ersetzen und die bisher sehr kostspielige Heimautomatisation (z.B. Bussysteme für Lichtsteuerung) wesentlich kostengünstiger machen. Ausserdem werden Gegenstände intelligent, die es bis anhin noch nicht waren. So freue ich mich über die jetzt erhältlichen Zahnbürsten mit Smartphone-Anbindung. Diese motivieren die Kids zum Zähneputzen und helfen zugleich, den Vollzug zu überprüfen. Neu für uns als Konsumenten und Werbetreibende wird sein, dass Gegenstände wie Kaffeemaschinen permanent Informationen über ihre Nutzung an den Hersteller liefern. Das bedeutet, dass beispielsweise die Gewohnheiten der Kaffeetrinker in Zukunft viel genauer verstanden werden können. Das so gewonnene Wissen kann und wird natürlich zu Marketingzwecken eingesetzt werden. Angebote werden bezüglich Personalisierung und Timing vielraffinierter, dadurch nützlicher für den Konsumenten und somit wirkungsvoller für den Anbieter. So wird einem die Kaffeemaschine in Zukunft mitteilen, dass es Zeit sei, neue Kapseln seiner Lieblingssorte zu bestellen – und sofern man dies wünscht, wird sie die Bestellung auch gleich selbsttätigen. Natürlich ist auch denkbar, dass die Kaffeemaschine von morgen Upselling betreibt, indem sie auf neue Sorten hinweist. Solche Empfehlungen werden hohe Erfolgsquoten haben, weil sie auf Big Data basieren, d. h. auf sehr vielen Daten von anderen Kunden mit einem ähnlichem Konsumverhalten. Es muss uns aber auch bewusst sein, dass Hersteller von solchen intelligenten Kaffeemaschinen wissen werden, wann zum Beispiel ein Single-Haushalt über Nacht Besuch hatte. Dass das Internet der Dinge für das Marketing der Zukunft von zentraler Bedeutung sein wird, zeigt unter anderem Googles Übernahme von Nest für 3,2 Milliarden Dollar. Durch die vernetzten Thermostaten und Rauchmelder von Nest wird Google in der Lage sein, noch detailliertere Verhaltensprofile von Konsumenten zu erstellen. In einer Welt, in der Daten das neue Erdöl darstellen, wird dies Google helfen, als grösstes Werbenetzwerk erfolgreich und relevant zu bleiben.»

Umfrage: Simone Isliker

 

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