Die Sarah

Es wird erzählt, dass sich Sarah Pietrasanta den Artikel «Die» zum 40. Geburtstag geschenkt hat. Und darauf bestehe. Freunde und auch Kollegen respektieren diesen Wunsch und schreiben sie so an. Das freut die Die mehr als irgendein Titel oder Grad. 

Schwarz gekleidet, mit Handschuhen, Hut und Schal steht sie da vor der Bar 0815, raucht eine Zigarette nach der anderen und erzählt aus ihrem Leben – umhüllt von einem schillernden Touch. Die Worte scheinen ihr zuzufallen, doch ist ein jedes mit Bedacht gewählt. Mit ihrer Erscheinung lockt sie Passanten an, man will wissen, wer sie ist, warum sie fotografiert wird. Ohne Gesprächsunterbruch nimmt sich Die Sarah sogleich der Fragen an. Sie versichert, dass sie noch nicht mal Zürcherin ist und schon gar keine Berühmtheit, entlässt die Fragenden, ohne sie abzuweisen in den Nachmittag. Am liebsten möchte sie den Hut nicht abnehmen, in leichter Anonymität verbleiben. Wer weiss schon, wie die Menschen wahrnehmen, was sie verstehen und interpretieren – eine nicht einschätzbare Situation ist es unter Fremden.

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Spaziergängerin und Geschichtenerzählerin

Sarah Pietrasanta ist in der Nacht des 21. August 1974 im Viktoriaspital in Bern zur Welt gekommen. Zur Geisterstunde, betont sie. Man munkelt, dass Die Sarah ihre Wünsche bereits in ganzen Sätzen formulierte, lange bevor das Stehen auf eigenen Beinen infrage gekommen wäre. Wie sie später auch das Gehen beherrschte, spazierte sie im Dorf rum und ging von Haus zu Haus auf Besuch, um im Tausch gegen einen Sirup oder einen Apfel Geschichten zu erzählen, Verse vorzutragen oder Kinderlieder zum Besten zu geben. Sarahs erster imaginärer Schatz war Rock-’n’-Roller Shakin’ Stevens. Der zweite war Phillip G. Der war echt und trug einen Top-Gun-Overall. Ihm folgte der Teenager ins Gymnasium. Aus der Liebe wurde nichts, wohl aber später aus dem Studium der Kommunikations- und Politikwissenschaften.

Lebenslauf einer Einzelgängerin

Seit 2008 leitete sie das Einzelunternehmen PS: Text, Buch & Konzept. Davor war sie freiberuflich erwerbstätig, unter anderem für diverse Medienproduktionen und Produktionsleitungen, schrieb Texte, Skripts und Konzepte. Zur Freiberuflerin schliff sie sich durch Zwischenstationen im Bundesamt für Migration (Projektleitung und Öffentlichkeitsarbeit), als Programmleiterin und Moderatorin beim Verein Radio Bern und zuletzt, aber nicht zuletzt in den vier Jahren Anstellung als CD und Co-Autorin sowie Projekt-, Produktions- und Aufnahmeleitung bei Aspectfilm in Zürich und Bern. Das Drehbuchschreiben sei die Schreiberschule schlechthin gewesen: «Wird das Skript verfilmt, verschwinden die Worte. Es gilt also, das Bild vor dem Verschwinden des Wortes präzise zu schreiben.» Als Einzelunternehmerin und Chefkopf von PS: Text, Buch & Konzept gab sie den Auftraggebern «Ihr Wort». Auch wenn diese Tätigkeit viele Gespräche und Meetings voraussetzte; in Teamarbeit Rücksicht auf die Ideen und Vorbereitungen anderer nehmen musste sie als Einzelmaske nicht – gefiel ihr eine Idee besonders gut, verwarf sie kurzerhand alle anderen. Das ist nun «nach über zehn Jahren in der heimischen Schreibstube» ein wenig anders: Seit Oktober dieses Jahres ist Die Sarah die neue Kreativ-Direktorin bei der BSW-Agentur Blue Spirit. Und es gefällt ihr sehr. Vor allem das Team. Aber auch die Aufgaben. Alles eigentlich. Es sei aber auch ein grosser Wechsel: «Das Zuhause nach Zürich zu verschieben, die Heimat in Bern aufzugeben, plötzlich in einem Team zu arbeiten, unter Menschen – das ist schon viel Veränderung », betont sie. Aber es sei toll. So pendelt sie als Bernerin nun schon seit einigen Wochen regelmässig nach Zürich. Der Massen in Zug und Bahnhöfen kann sie sich aber keineswegs erfreuen. «Volksfest» nennt sie das. «Es fängt am Bahnhof an: MENSCHEN, HORROR», erläutert sie: «Zugfahren stört meine Persönlichkeit; die Gerüche und Geräusche, die Rüpel und Grobiane – das alles wirkt ungefiltert auf mich ein». Glücklicherweise hat sie nach einigen Versuchen gleich mehrere Wohnungen in Zürich angeboten bekommen. Auf Facebook hat sie bereits die neue Wohnung bekannt gegeben: «Mein neues Badezimmer hat drei Fenster – drei Fenster hat mein neues Badezimmer. Und hat es nicht drei Fenster, so ist es nicht mein neues Badezimmer», freut sie sich.

«Der Antichrist ist ein Gutmensch»

Schreiben, Geschichten erzählen und manipulieren kann sie, Die Sarah. Auch ihre schauspielerischen Leistungen im täglichen Leben sind beachtenswert. Doch das Wort «Manipulieren» möchte sie auf keinen Fall falsch verstanden wissen: «Manipulieren bedeutet, die Hände füllen. Ich gebe etwas von mir her. In die Hände. Oder ins Herz. Oder ins Hirn.» Sehr oft benutzt sie dieses Wort: «Manipulieren.» Auch der Branche hafte es als etwas Negatives an. Dabei sei lediglich damit ausgedrückt, dass jemandem etwas angeboten werde – ein Produkt, eine Marke, eine Ideologie. Was man dann damit anfange, entscheide dann jeder für sich selbst. Sofern so frei und so fähig. «Der kreative Mensch ist der Antichrist », fügt sie an, und meint auch dies im positiven Sinn: «Der Antichrist ist ein Gutmensch», betont sie mit einem Lächeln, «er steht für die freie Entfaltung, für die individuelle Bestimmung der Gegenwart, er wehrt sich gegen Doktrin, gegen Konvention und gegen Moral.» Diese «Befreiung» leiste er aus Überzeugung, geleitet von der originären Idee. Insofern wimmle es in der Werbebranche von Antichristen.

Das 0815 und die 99 Luftballons

Wer nicht zu eigenen Gedanken fähig oder willens ist, der richtet sich nach einer Gesinnung oder einem Gesalbten. Klar, auch der freie Gedanke brauche festen Boden unter den Füssen, meint Die Sarah und zitiert Woody Allen: «Ich stehe mit beiden Beinen fest in den Wolken.» Es kommt also nicht von ungefähr, dass sie die Bar 0815 als Lokal ihrer Wahl für unser Gespräch ausgesucht hat. Hier ist alles nach Mass. Die Lounge ist auf ihre Quadratmeter abgemessen und entsprechend beschriftet, die Distanz zu den Kleiderhaken in der Garderobe ist an den Wänden nachlesbar, die ausgestellten Weinflaschen sind sichtbar gezählt. Für einige Geschmäcker wohl zu klar und geordnet, doch für Die Sarah genau richtig. Denn mit Ordnung lässt sich besser spielen. «Je fester sie steht, umso heftiger fällt die Veränderung ins Gewicht.» So etwa im Spiel mit der streng geregelten deutschen Sprache. Sarah Pietrasantas liebstes Beispiel dafür ist eine Kommaverschiebung von «Du, nur du» zu «Du nur, du». Dazwischen liegen Welten – Welten der Ansicht und Einsicht, Welten von Seifenblasen und Luftballons. Und Luftballons wollte auch Die Sarah in früher Kindheit steigen lassen. Als sie Nena von Beruf werden und in Musik, Singen und Rhythmen denken wollte. Nachdem der Coiffeur vom «Kaff» jedoch nicht wusste, welcher Haarschnitt dazu nötig gewesen wäre, entschied sie, zu sein anstatt etwas werden zu wollen.
 
Ursina Maurer (Text und Fotos)

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In Kürze

2001/2002 Programmleitung, Produktion und Moderation bei Radio Bern (RaBe)
2002/2003 Projektleitung und Öffentlichkeitsarbeit beim Bundesamt für Migration (BFM), Informationsdienst
2003/2004 Kursleitung «Grundkurs Radiojournalismus» bei Klipp & Klang Radiokurse in Zürich
2003–2007 Kreative Direktion, Projekt-, Produktions- und Aufnahmeleitung, Regieassistenz bei Aspectfilm
2007/2008 Div. Medienproduktionen und Produktionsleitungen, Texte, Skripts und Konzepte
2008–2014 Kreation und Produktion für PS: Text, Buch & Konzept (Einzelunternehmen)
seit Oktober 2014 Kreative Direktorin bei Blue Spirit

www.bluespirit.ch

www.pietrasanta.ch

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