Sind im Netz alle Daten gleich?

Dass im Internet jeder über die gleichen Möglichkeiten verfügt, Inhalte zu publizieren oder Dienste anzubieten, gilt als selbstverständlich. Nun wird in Zweifel gezogen, ob das auch so bleiben wird. Oligopol- Struktur ausgerechnet im Netz: Ein Schreckensszenario oder eine mögliche Zukunftsentwicklung?

Das Thema Netzneutralität steht derzeit auf der politischen Agenda, weil die Kabelbetreiber technisch in der Lage wären, Daten in unterschiedlicher Qualität zu transportieren. Sie könnten beispielsweise TV-Angebote von Teleboy und TV-Angebote von Swisscom in unterschiedlicher Qualität übertragen. Bis vor kurzem sei das technisch noch sehr aufwendig gewesen, meint Andreas von Gunten, Mitglied der Digitalen Gesellschaft Schweiz. Das Internet funktioniert bislang nach dem Prinzip des «best effort»: Solange im Netz freie Übertragungskapazität vorhanden ist, werden alle Daten gleich behandelt.

In der Schweiz sind es Swisscom, Sunrise, Orange und Cablecom, die über die letzte Meile zu jedem Internetanschluss verfügen. Das heisst: Man kann als Kunde zwar bei einem alternativen Anbieter seinen Internetvertrag abschliessen, aber über den sogenannten Endkundenzugang verfügen die vier grossen Internetprovider. Sie könnten den im Netz verfügbaren Content theoretisch beschränken. Faktisch hätten sie kein Interesse daran, wie Swisscom- Sprecher Schulze betont. Die Telekommunikationsanbieter bestehen aber auf gewissen Freiheiten in der Ausgestaltung ihrer Produkte.

Seit 2013 tagte eine Arbeitsgruppe des Bakom darüber, ob ein Gesetz zur Sicherung der Netzneutralität notwendig ist. Zu konkreten Ergebnissen kam die Arbeitsgruppe bislang nicht. Der kürzlich publizierte Bericht zeigt die Forderungen der verschiedenen Interessengruppen auf. Er macht ausserdem verschiedene Motive für Ungleichbehandlung von Daten aus, welche auch positive Auswirkungen für die Endkunden haben kann. So ist ein Netzmanagement manchmal sinnvoll, um die Qualität eines Internetdienstes zu sichern oder illegale Inhalte zu sperren. «Das ist notwendig und vom Gesetzgeber so vorgesehen», betont Schulze. Die Internetprovider könnten bei der momentanen Gesetzeslage aber auch eine Bezahlung für den Transport von Inhalten und Diensten zu den Kunden verlangen. Hier beginnen für kritische Kreise die Schwierigkeiten: «Das wäre, wie wenn Sie einen Brief aufgeben und der Empfänger muss ebenfalls Porto zahlen», veranschaulicht von Gunten. Entsprechend könnten die Netzbetreiber die eigenen Dienste und Dienste von kommerziellen Partnern mit besonders guter Qualität transportieren oder diejenigen der Konkurrenz drosseln.

Das sind die Befürchtungen. Aber welche Verletzungen der Netzneutralität finden heute bereits statt? Es gibt bloss eine Handvoll konkreter Beispiele, welche die Befürworter der Netzneutralität zurzeit ins Feld führen können. Ihr zentraler Vorwurf betrifft die Bevorzugung der Dienste Zattoo und Spotify durch Orange bzw. von Swisscom TV air durch Swisscom. Bucht man beispielsweise bei Orange ein Abo mit begrenztem Datenvolumen, wird der Datentransfer beim Konsum von Zattoo nicht von diesem Datenvolumen abgezogen – nutzt man hingegen einen unabhängigen Anbieter wie Teleboy, verbraucht man damit das eingekaufte Datenvolumen.

Orange stellt gewissermassen für die eigenen Dienste die Leitungen gratis zur Verfügung, während bei den Diensten anderer Anbieter der Kunde dafür bezahlt. Für von Gunten klar eine Benachteiligung der kleinen Medienunternehmen: «So wird der eine Anbieter dem anderen gegenüber besser gestellt. Wenn ich als Konsument Teleboy nutzen will, geht das ausserdem klar gegen meine Interessen.» Swisscom-Sprecher Schulze beschwichtigt: Abos mit einem begrenzten Datenvolumen seien kein Zukunftsgeschäft. Im Festnetzbereich kenne man ohnehin keine Volumenbeschränkung mehr. Ende Juni hätten bereits 58 Prozent der Mobile-Kunden über ein Infinity-Angebot verfügt – Tendenz steigend. Von den übrigen 42 Prozent besässen viele ohnehin kein Smartphone. Für von Gunten ist das Problem jedoch grundsätzlicherer Natur. Es beginne bereits damit, dass viele Netzbetreiberinnen neben dem Internetzugang auch selbst Inhalte und Dienste anböten. Das sei zwar aus Sicht der Kabelbetreiber naheliegend. «Die blosse Internetverbindung bringt nicht so viele Margen ein. Darum bauen die Netzbetreiber ihr Medienangebot aus.» Es sei aber mit ihrer Kernaufgabe unvereinbar. «Es sollte nicht der Gewinn einer einzelnen staatsnahen Firma höher gewertet werden als der gesamtgesellschaftliche Aspekt. Ich würde es befürworten, wenn die Kabel ein Teil des Service public sind. Aber dann braucht es eine klare Trennung von Zugang und Inhalt.»

Das Geniale am Internet ist für den Aktivisten der digitalen Gesellschaft das «Innovation without Permission»-Prinzip. «Jeder kann eine Idee ins Netz stellen und schauen, ob sie am Markt funktioniert.» Es bestehe die Gefahr, dass dies zukünftig nur noch für Inhalte-Anbieter der Fall sei, die auch ein eigenes Netz betreiben – und dass dadurch mit der Zeit keine unabhängigen innovativen Dienste mehr auftauchen würden. Die Wettbewerbsfrage steht denn auch im Zentrum der Diskussion. Viele Unternehmen seien zu Beginn ihrer Tätigkeit auf die Offenheit des Internets angewiesen, hält der Bakom-Bericht fest. In immer mehr Branchen erfolge ein wachsender Teil der Wertschöpfung und der Kommunikation über das Internet. Das gilt insbesondere auch für Start-ups im Medienbereich. Sie sind auf tiefe Markteintrittskosten angewiesen. Auch aus Kundensicht würden diese Abos letztlich nicht gebucht, weil sie auf die Bedürfnisse zugeschnitten sind, ist von Gunten überzeugt. « Die Kunden wählen ein kostengünstiges Kombiangebot und sind erst mal glücklich, dass Swisscom TV gratis dabei ist. Wenn sie später auf andere Dienste wechseln wollen, besteht eine gewisse Hürde. Das mit dem Wechseln ist nicht so einfach, wie die Netzbetreiber gerne behaupten. Oft ist man über zwei Jahre an einen Vertrag gebunden und es ist einiges mit einem solchen Package verknüpft. So viel liegt den Kunden an einem einzelnen Dienst meistens nicht, obschon sie ihn bevorzugen würden.» Ein globaler Dienst wie YouTube sei so relevant, dass die Kunden einen Netzwechsel durchaus in Betracht ziehen würden, entgegnet Schulze. Von Gunten stimmt zu. Der Wettbewerb werde vermutlich dazu führen, dass sämtliche grossen Provider die zentralen Programme anbieten. «Auf Netflix oder YouTube wird man kaum verzichten müssen. Aber ein kleiner Anbieter kann nicht mehr in den Markt eintreten. Dieses Problem kann der Wettbewerb nicht lösen.» Die digitale Gesellschaft fordert darum eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität – zum Beispiel im Rahmen des erneuerten Fernmeldegesetzes oder auch in einem separaten Gesetz. Es soll sicherstellen, dass jeder, der Internetzugang anbietet, alle Daten diskriminierungsfrei überträgt. «Wir bestreiten nicht, dass die Anbieter zunehmend mehr investieren müssen. Aber diese Kosten sollte der Endkunde tragen – für die Bandbreite, die er wünscht.» Demgegenüber sieht man bei Swisscom keine Motive, Dienste zu sperren – erst recht nicht von kleinen Anbietern, welche die Netze kaum belasten. Eine gesetzliche Regelung halten die Kabelbetreiber daher für überflüssig.

Simone Isliker

Die Netzbetreiberin

Interview mit Olaf Schulze, Mediensprecher von Swisscom

«Man sollte nur regulativ eingreifen, wo es notwendig und sinnvoll ist.»

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WW: Was ist Ihre Haltung gegenüber einer gesetzlichen Regelung der Netzneutralität?
Olaf Schulze: Swisscom tritt für ein offenes Internet ein. Wir können aber die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung nicht nachvollziehen. Branchenbeobachter sind durchweg der Meinung, dass es keine Verletzung der Netzneutralität in der Schweiz gab und dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass eine stattfinden wird. Man sollte nur regulativ eingreifen, wo es notwendig und sinnvoll ist.
 
Es gibt also keine Ungleichbehandlung von Internetdaten?
Es existiert keine anerkannte Definition des Begriffs Netzneutralität. Netzneutralität im engsten Sinne, dass alle Daten im Internet gleich behandelt werden, gab es nie und wird es auch nie geben – aus dem einfachen Grund, dass die Internetkapazität begrenzt ist. Bei einem allfälligen Stau liesse sich eine Gleichbehandlung von Datenpaketen für einen YouTube-Film mit Datenpaketen für die Telemedizin oder die Steuerung der Stromnetze nicht rechtfertigen. Eine enge Auslegung von Netzneutralität würde zu Einschränkungen führen, die aus Kundensicht nachteilig sind. In der Schweiz werden aber keine Dienste grundsätzlich blockiert oder verlangsamt.
 
Es steht aber die Befürchtung im Raum, dass die Übertragungsqualität von TV-Diensten durch Swisscom gedrosselt wird und diese dann zahlen müssen für eine gute Übertragungsqualität.
Dieses Szenario kann ich ausschliessen. Sie müssen sich die Wettbewerbssituation in der Schweiz ansehen. Der Kunde hat die Wahl zwischen diversen Providern. Da kann sich kein Anbieter leisten, einen Service zu blockieren oder zu drosseln.

Der Internet-TV-Anbieter

Interview mit Karim  Zekri, Mitgründer von Teleboy

«Es entsteht ein Zweiklasseninternet.»
 

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WW: Was ist Ihre Haltung gegenüber einer gesetzlichen Regelung der Netzneutralität?
Karim Zekri: Bei einer Bakom-Befragung vor einem Jahr war ich noch der Meinung, das solle der Wettbewerb selber regeln. Ich bin kein Freund von zu vielen Gesetzen. Im Verlauf der Debatte und bei den Gesprächen, an denen ich teilnahm, habe ich meine Meinung etwas revidiert. Ich bin heute der Ansicht, dass es eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität braucht. Denn es ist offensichtlich geworden – durch die Haltung der Schweizer Internetprovider, aber auch durch die jüngsten Entwicklungen in den USA – dass diese ihre Macht missbrauchen werden.
 
Was befürchten Sie, sollte eine solche Regelung ausbleiben?
Ein Zweiklasseninternet. Die Internetprovider werden Geld verlangen von einzelnen Betreibern, um sicherzustellen, dass deren Inhalte und Services beim Endkunden ankommen. Oder sie werden Services benachteiligen, wenn es Konkurrenzangebote zu ihren eigenen Services sind. So wie Skype bereits einmal auf dem Schweizer Mobilnetz blockiert wurde oder intransparente Peering-Policies für den Netzzugang dazu führten, dass Video-Streams ruckelten, obwohl die Bandbreite des Konsumenten ausreichte.
 
Fühlen Sie sich als unabhängiger TV-Anbieter heute bereits benachteiligt?
Eine Benachteiligung sehen wir darin, dass bestimmte TV-Services (wie Zattoo oder Swisscom TV air) bei einigen Mobiltelefon-Abos inbegriffen sind und nicht dem Datenvolumen des Abos angerechnet werden. Ich bin überzeugt, dass sich die Mehrheit der Kunden nicht deswegen für das Abo entscheidet – aber sie werden den Dienst dann eher nutzen als Teleboy. Orange behauptet zwar, der Kunde bezahle für dieses Angebot. Aber im Abo-Preis sind auch andere Zusatzdienstleistungen inbegriffen. Da findet eine Marktverzerrung statt.
 
Die Serviceprovider haben auch Milliarden in den Netzausbau investiert und damit ein Investitionsrisiko auf sich genommen.
Die Serviceprovider schreiben keine roten Zahlen. Sie können nur nicht so viel Gewinn machen, wie sie gerne würden, sondern müssen die Margen in den Netzausbau investieren. Das ist aber auch ihr Auftrag. Natürlich würden sie lieber den Netzausbau links liegen lassen und die bestehende Infrastruktur nur für diejenigen zur Verfügung stellen, die zahlen. Das würde aber zu einem Stillstand von Innovation und einer klaren Benachteiligung der Konsumenten führen.
 

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