Jugendliche wollen aktiv mitgestalten

Am 10. April 2014 fand im Papiersaal Zürich zum zweiten Mal der Boost, das Schweizer Forum für Jugendmarketing und Jugendkultur, statt. Geschäftsführer und Marketingexperten von Reddit.com, Vice, Trendone und Onepiece zeigten auf, wie man im Netz die Macht der jugendlichen Masse nutzt.

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Wussten Sie, dass 73 Prozent der Jugendlichen bereits mit dem Gedanken spielten, sich bei Facebook wieder abzumelden – dass das Portal aber nach wie vor am häufigsten von ihnen besucht wird, dicht gefolgt von Google und YouTube? Oder dass Hotmail als Mail-Anbieter noch immer Platz 5 der gefragtesten Websites hält? Wenn Ihnen diese Fakten geläufig sind, hätten Sie am Boost zu der Minderheit von Experten aus dem Marketing- und Werbeumfeld gehört, welche bezüglich Medienverhalten von jugendlichen Zielgruppen richtig sattelfest sind. Eine Quiz-App stellte das Jugendmarketingwissen live auf die Probe. Die Auswertung zeigte, dass diese Fragen mehrheitlich falsch beantwortet wurden. Fabio Emch, Mitgründer des Boost und geschäftsführender Partner der auf Jugend- und Studentenmarketing fokussierten Agentur Jim & Jim, stellt aber ein stetig wachsendes Bedürfnis nach Fachwissen über jugendliche Zielgruppen fest. Der Boost kommt diesem Bedürfnis entgegen – mit einer gelungenen Mischung aus Statistik und Praxis- Insights.

Klassische Werbung wird von Jugendlichen am ehesten positiv wahrgenommen, so ein Ergebnis der aktuellen Jugendstudie, die Jim & Jim in Zusammenarbeit mit Demoscope durchgeführt und am Boost präsentiert hat. Das diesjährige Marketingforum stand hingegen ganz im Zeichen der Online- Medien. Für Fabio Emch ist klar, dass in diesem Bereich besonders viel Verbesserungspotenzial besteht. Rückblickend betrachtet er als Hauptmessage des Events, dass jugendliche User im Netz noch mehr aktiv mitgestalten wollen. Dieser Trend birgt für Unternehmen die Gefahr des Kontrollverlusts, man werde ihm aber langfristig nicht ausweichen können, prognostiziert Emch. Die Referate vermittelten vielfältige Inputs, wie man in sozialen Netzwerken von der Macht der Masse profitieren kann.

Inhalte in die Hände der User gelegt

Reddit.com bietet seinen Usern seit 2005 fast unbegrenzte Möglichkeiten zur Mitgestaltung. Sie können auf der Plattform eigene Inhalte verfassen und nach Belieben sogenannte Subreddits für neue Themen erstellen. General Manager Erik Martin stellte diesen Social-News-Aggregator vor, der mit Besucherzahlen von über 100 Millionen pro Monat den durchschlagenden Erfolg des Konzepts belegt. Martin versteht manchmal selber nicht, was seine Communitys attraktiv macht: Es entstanden so bizarre Subreddits wie «Pictures of Ian sleeping» – dort veröffentlicht ein Student regelmässig Fotos seines schlafenden Mitbewohners Ian – oder ein Subreddit mit Vorher-nachher-Bildern von Hochdruckfassadenreinigungen. Die User erfinden, was sie interessiert, und die Inhalte verbreiten sich von selbst, wenn sie auch andere ansprechen.

Torsten Rehders Referat zeigte auf, dass dieser Trend auch Eingang in das Storytelling von Marken findet – in einer «postdigitalen» Welt werde es zunehmend in die Hände der User gelegt. «Interaktiv, kontextuell und transmedial» sei die Werbung der Zukunft, so der Trend-Supervisor von Trendone. Ein gelungenes Beispiel für eine solche Kampagne präsentierte Stefan Häckel, CEO des deutschsprachigen Vice. Das auf globale Jugendkultur ausgerichtete Medienunternehmen begleitete 2013 für eine jugendfokussierte Kampagne der Lufthansa die Produktion von Videos, in denen Reisende und Crew- Mitarbeitende von persönlichen Reiseerlebnissen erzählen. Vice berücksichtigt ausserdem für das eigene Online-Magazin schon lange, dass 30 Prozent der Jugendlichen reine Textbeiträge nicht ansprechend finden.

Ein alberner Jogginganzug erobert Facebook

Thomas M. Adams, CEO und Mitbegründer von Onepiece, sprach am Boost von «unglaublichen Resultaten, wenn man eine Plattform in ihren Anfängen kreativ nutzt». Das norwegische Unternehmen Onepiece stellt einteilige Jogginganzüge mit Kapuze her, die ein wenig albern aussehen und absichtlich zu schlabbrig designt sind, um in ihnen Sport treiben zu können. Das Produkt löste in Adams Heimatland einen riesigen Hype aus: Innerhalb von 24 Monaten gewann Onepiece 2 Prozent aller Norweger als Konsumenten. Den erstaunlichen Erfolg begründet Adams damit, dass das dreiköpfige Gründerteam 2009 auf der damals noch jungen Plattform Facebook mit Aktionen experimentierte, die ihren Freundeskreis zu mobilisieren vermochten. Wirkungsvoll seien beispielsweise die unzähligen Profilfotos gewesen, auf denen sich die Fans mit vor dem Gesicht zugezogener Onepiece-Kapuze zeigten. In einem nächsten Schritt habe die Zusammenarbeit mit jungen Ambassadors entscheidend zur digitalen Verbreitung beigetragen. Nach eigenen Angaben hat Onepiece nicht nur die eigenen Freunde, sondern auch Stars wie Justin Bieber oder Mario Balotelli nie dafür bezahlt, für den Onepiece zu werben. Das Produkt passe einfach zum Lifestyle der jungen Stars, erklärt Adams. Es schaffe einen angenehmen Ausgleich zum vorherrschenden Modezirkus. Einen offenen und unverkrampften Umgang mit jungen sozialen Netzwerken kultiviert Onepiece bis heute. So verfügen die Büroräumlichkeiten des Unternehmens beispielsweise über einen eigenen Snapchat-Raum. Mit der App kann man Bilder für einen festgelegten Zeitraum von 5 bis 60 Sekunden verfügbar machen. Damit experimentieren die Mitarbeitenden von Onepiece nach Lust und Laune.

Wird denn nun Facebook, die Top-Website der Jugendlichen, bald von anderen Netzwerken verdrängt? Ein Grossteil der Jugendlichen überlegt immerhin, sich von der Plattform abzuwenden, so das eingangs erwähnte Ergebnis der Jugendstudie von Jim & Jim. Junge Menschen halten Facebook für out, das machen auch die Strassenumfragen deutlich, die zwischen den Referaten auf der Boost- Bühne gezeigt wurden. Faktisch verzeichnet Facebook aber nach wie vor hohe Nutzerzahlen. Und laut Boost-Mitgründer Emch wird das soziale Netzwerk auch nicht so schnell von der Bildfläche verschwinden.

Simone Isliker

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