Goldene Gans oder Mode-Marotte?

Obwohl nicht klar definiert, ist «native advertising» derzeit als Modebegriff allgegenwärtig – der Versuch einer Annäherung zusammen mit der Frage, ob und wie es Derartiges bei uns je geben wird.

Bis im Sommer 2012 verzeichnete Google keine Suchanfragen zum Begriff «native advertising», doch von da schnellte die Trend- Kurve nach oben. Im englischsprachigen Raum sind bekannte Titel wie Forbes, The Atlantic, The Economist (vgl. Werbewoche 21/2012 vom 23.11.2012, S. 31) inzwischen auf diesen Zug aufgesprungen. Und als am 8. Januar die New York Times ihre neu gestaltete Website, komplett mit Responsive Design und Native Advertising, vorstellte, erreichte der Trend wohl den, wenn auch kontrovers kommentierten, Durchbruch. In der Schweiz setzt Ringier mit dem im letzten Dezember aufgeschalteten Webportal für Blickamabend.ch auf Native Advertising. Zwar ist klar, wie der neueste Werbe-Trend heisst, doch was damit genau gemeint ist, hängt davon ab, wen man fragt, und so weichen die Definitionen voneinander ab. Bezeichnenderweise gibt es dafür bei Wikipedia, zumindest auf Deutsch, noch keinen Eintrag. Anstatt einer eigenen Definition geben wir hier einige Definitionsversuche wieder, denen wir im Rahmen der Recherchen zu diesem Artikel begegnet sind:

  • Native Advertising nimmt die Form und das Format des Mediums an, in dem es erscheint.
  • Native Advertising sind Inhalte, die für einen bestimmten redaktionellen Meldungsfluss gestaltet worden sind.
  • Konsumenten sollen Native Advertising nicht als Anzeige, sondern als wertvolle Inhalte erkennen. Es geht nicht um den Verkauf, sondern darum, rund um die Marke nützliche Inhalte, Unterhaltung oder Infotainment zu vermitteln.
  • Mit Native Advertising können Marken mit Konsumenten entsprechend deren Bedürfnissen in Beziehungen zu treten.
  • Mit Native Advertising sollen Marketing- Botschaften für Konsumenten so erlebbar werden, wie sie gewohnt sind, ein Medium nutzen.
  • Native Advertising gehört zum Content Marketing.
  • Der Begriff kommt vom lateinischen Wort «nativus» (angeboren).

Zur Verwirrung trägt bei, dass Native Advertising keineswegs etwas grundlegend Neues beschreibt. Solche Praktiken gibt es in Online- Medien, aber auch bei elektronischen Medien und im Print. So gibt es bei Zeitungen und Zeitschriften seit langem Publireportagen (Advertorials), die in redaktioneller Aufmachung daher kommen. Während bei uns die Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten bei Radio und TV gesetzlich (Art. 9 RTVG) verankert resp. solches Tun als Schleichwerbung verpönt ist, gibt es in ausländischen Märkten unter Moderatoren wahre Künstler, wenn es darum geht, möglichst fliessend von Inhalten zu Werbebotschaften überzuleiten, diese als eigene Mitteilungen vorzutragen, um dann fliessend ins Programm zurück zu wechseln. Und auch bei Online-Diensten hat die Vermischung eigener Inhalte mit bezahlten bereits Tradition: Bei Google gibt’s zu den Suchergebnissen passende Anzeigen, Facebook und LinkedIn kennen Sponsored Stories, und bei Twitter begegnen einem Promoted Tweets. So hat das Internet Advertising Board (IAB) im letzten Juni eine Arbeitsgruppe zum Thema Native Advertising eingesetzt, die im Dezember ein erstes Dokument (Native Advertising Playbook) zu diesem Thema veröffentlichte. Darin werden sechs Kategorien (In-Feed Units, Paid Search Units, Recommendation Widgets, Promoted Listings, In-Ad with Native Element Units und Custom /Can’t Be Contained) identifiziert. Es wird betont, eine klare und prominent platzierte Offenlegung bezahlter Inhalte sei von «grösster Bedeutung». Schliesslich kommen die IAB-Autoren zum Schluss, Native Advertising sei «ausgesprochen und überwältigend» eine Form der Markenwerbung, womit Marketer digitales Marketing besser einsetzen können, um das gesamte Spektrum ihrer Kommunikationsbedürfnisse von Branding bis zu Direktmarketing abzudecken.

Lösung zweierlei Nöte

Dass die Online-Werbebranche Native Advertising in den höchsten Tönen lobt, wird verständlich angesichts der längst mageren Beachtung herkömmlicher Online-Werbung. Wurde Display-Werbung im Jahr 2000 noch zu 9 Prozent beachtet, hat inzwischen die «Banner-Blindheit» um sich gegriffen, und die Click-Through-Rate liegt heute im Bereich von 0,1 Prozent. Konsumenten verabscheuen aufdringliche Banner-Werbung und haben gelernt, diese zu ignorieren. Da nerven Native Ads weniger und bringen mehr.

Und auch bei Publishern löst Native Advertising ein zunehmend drängendes Problem: Die Produktion hochwertiger Inhalte lässt sich zunehmend schlechter mit Werbung finanzieren. Redaktionen schrumpfen, derweil die Belegschaften der Unternehmenskommunikationsabteilungen wachsen. Kommen diese mit guten Inhalten daher und bezahlen für deren Veröffentlichung erst noch, wäre es töricht, nicht darauf einzugehen. Zumal sich Publishern weitere Ertragschancen eröffnen: Vielfach bauen sie eine Parallel-Redaktion auf, die, zusammen mit dem Verkauf, nicht nur Native- Advertising-Inhalte akquiriert, sondern den Markenverantwortlichen auch bei deren Erstellung hilft.

So ist in den USA rund um Content Marketing und um Native Advertising eine Dienstleister- Landschaft entstanden. Es gibt eine neue Welle digitaler Publisher wie Buzzfeed, Vice oder Quartz, bei denen Native Advertising zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells ist. Unternehmen wie Sharethrough oder Outbrain spezialisieren sich darauf, Branded Content auf geeigneten Webseiten zu verteilen. Storify und Storyful unterstützen das Kuratieren von Inhalten.

Doch nicht alle finden das gut, und es gibt auch warnende Stimmen, die Verlagen davon abraten, ins scheinbar lukrative Geschäft mit Native Advertising einzusteigen. Der Chefredaktor des Wall Street Journal, Gerard Baker, spricht von einem «Teufelspakt»: Bezahlte Inhalte verunsicherten das Publikum, ob ein Medientitel überhaupt noch vertrauenswürdig sei – so gehe genau die Reputation verloren, auf die auch Anzeigenkunden setzten.

Breite Debatte für neue Spielregeln

Beim Thema Native Advertising ist auch bei uns Vieles im Fluss. Noch vor Jahresfrist hiess es in einer Werbewoche-Umfrage (Werbewoche 03/2013, S. 29) bei Ringier dazu: «Wir produzieren unsere redaktionellen Inhalte selbst und übernehmen keine Inhalte in der genannten Form» – nur um ein paar Monate später m Blickamabend.ch auf diesen Zug aufzuspringen. So wird 2014 das Thema Native Advertising auch bei uns vollends ankommen und die Geister und Gemüter beschäftigen. Ähnlich wie beim Thema Bezahlschranken (Paywalls) werden die einen darin die Heilslösung für darbende Online-Erträge sehen, derweil andere ob der damit verbundenen Probleme fürchten, das Publikum werde solcherlei nicht akzeptieren. Kritiker werden sich auf etablierte Branchenregeln berufen:

Code of Conduct: In dem vor sieben Jahren von Verlegern, Journalisten und Werbern eingeführten Werbe-Ehrenkodex wird «uneingeschränkt das Prinzip der vollen Transparenz gegenüber dem Publikum» festgeschrieben. Darin steht: «Anzeigen dürfen durch ihre Gestaltung nicht den Eindruck erwecken, sie seien redaktioneller Bestandteil des Mediums.» Lauterkeitskommission: In den «Grundsätzen Lauterkeit in der kommerziellen Kommunikation » gibt es ein «Verbot der Koppelung von kommerzieller Kommunikation mit redaktionellen Beiträgen», und das Sponsoring von redaktionellen Beiträgen wird als «unlauter» bezeichnet, sofern dies für den Konsumenten nicht klar erkennbar ist. (Grundsatz Nr. 3.12).

Doch Native Advertising legt es eben gerade darauf an, sich möglichst wenig von redaktionellen Beiträgen zu unterscheiden. Ob Native Advertising bei uns zur Goldenen Gans oder bald als Mode-Marotte abgeschrieben wird, hängt wesentlich davon ab, ob es in den kommenden Monaten gelingt, darüber eine branchenweite, ja gesellschaftliche Diskussion zu führen, um neue Spielregeln zu definieren, mit denen Native Advertising erfolgreich umgesetzt werden kann. Welche Flughöhe dafür angezeigt ist, zeigt ein Blick in die USA: Dort hat die Bundeshandelskommission, FTC, Anfang Dezember dazu ein eintägiges Experten- Hearing durchgeführt. Bei Publishern wie bei Unternehmenskommunikatoren braucht es anschliessend eine konsequente professionelle Umsetzung (etwa mit eigenen spezialisierten Redaktionen). Wird hingegen das Thema mit halbpatzigen Versuchen angegangen, droht das Ertragspotenzial sowohl für Marken wie für Medienunternehmen langfristig beschädigt zu werden.

Christoph J. Walther

Goldene Gans oder Mode-Marotte?

Obwohl nicht klar definiert, ist «native advertising» derzeit als Modebegriff allgegenwärtig – der Versuch einer Annäherung zusammen mit der Frage, ob und wie es Derartiges bei uns je geben wird.

Bis im Sommer 2012 verzeichnete Google keine Suchanfragen zum Begriff «native advertising», doch von da schnellte die Trend- Kurve nach oben. Im englischsprachigen Raum sind bekannte Titel wie Forbes, The Atlantic, The Economist (vgl. Werbewoche 21/2012 vom 23.11.2012, S. 31) inzwischen auf diesen Zug aufgesprungen. Und als am 8. Januar die New York Times ihre neu gestaltete Website, komplett mit Responsive Design und Native Advertising, vorstellte, erreichte der Trend wohl den, wenn auch kontrovers kommentierten, Durchbruch. In der Schweiz setzt Ringier mit dem im letzten Dezember aufgeschalteten Webportal für Blickamabend.ch auf Native Advertising.

Abonnenten der Werbewoche lesen den Artikel von Christoph J. Walther unter diesem Link oder in der Werbewoche 01/2014 weiter.

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