Aufgespiesst: Wer hat Angst vorm zweiten Blick?

Anne-Friederike Heinrich, freie Mitarbeiterin der Werbewoche, über die Tücken des Publizierens.

Fachmagazine kosten ihre Abonnenten viel Geld, mitunter Tausende von Franken. Dafür verlässt sich die gut zahlende Leserschaft darauf, dass alle Informationen, die ihr serviert werden, niet- und nagelfest sind, mindestens einmal, besser zweimal geprüft. Durch Veröffentlichungen in Journalen wie Nature oder Science eröffnet sich Wissenschaftlern der akademische Olymp. Weil sich immer mindestens zwei der bei diesen Fachblättern arbeitenden Experten die Zeit nehmen, jedes eingereichte Paper auf formale und inhaltliche Richtigkeit zu kontrollieren. Nur wer diese Peer-Review-Kontrolle überwindet, sieht seinen Aufsatz auch gedruckt.

Von einem solchen Verfahren können viele ande- re Fachmagazine nur träumen. Oft werden eingereichte Texte einfach in die Druckfahne durchgewunken. Aus Zeitmangel oder weil sowieso niemand beurteilen kann, ob stimmt, was da steht. Und die Leser, so meint man, merken es ohnehin nicht, wenn nicht alle Details korrekt sind. Offenbar setzen sich immer mehr Menschen immer weniger intensiv mit einem Sachverhalt, der sie eigentlich interessieren sollte, auseinander. Die Oberfläche ist unser bevorzugter Aufenthaltsort. Schreiber wie Leser haben sich damit eingerichtet.

Fieser Griff an die eigene Nase

Nur manchmal werden wir wachgerüttelt, beunruhigt, beschämt. Zum Beispiel, wenn einer wie der amerikanische Wissenschaftsjournalist John Bohannon einen kleinen, fiesen Test mit uns macht. Und damit beweist, dass nicht alles, was viel Geld kostet, wirklich gut ist – und das, was man umsonst bekommt, sowieso nicht: Bohannon fingierte eine Studie über die angeblich durchschlagende Wirkung eines Flechten-Extrakts gegen Krebszellen. Als Autor der Studie kreierte er einen eritreischen Mediziner, der nicht existiert, und spickte sein Paper – der Fairness halber – mit gravierenden Fehlern wie beispielsweise hanebüchenen Datenauswertungen. Seine «Studie» bot Bohannon 304 Fachmagazinen an. Über 150 Blätter druckten den Fake ab und Bohannon machte seinen Test in Science (Band 342, S. 60) öffentlich.

Zugestanden, die Journale, die auf den Nepp reinfielen, waren überwiegend solche, die keine Peer-Review-Praxis anwenden. Doch das beruhigt nur auf den ersten Blick. Denn es sind auch Magazine unter den Getäuschten, die von angesehenen Verlagen wie Wolters Kluwer, Elsevier oder Sage Publications herausgegeben werden. Dabei hätte nach Bohannons Einschätzung jeder nur halbwegs aufmerksame Redaktor die haarsträubenden Fehler in der Studie bemerken müssen. Es hätte zum Beispiel gereicht, ein wenig zur Person des eritreischen Mediziners zu recherchieren, der die Studie verfasst hat, um zu merken, dass dieser gar nicht existiert. Und misstrauisch zu werden.

Schreiben unter Druck

Und nun? Da sind die bösen Journis, die das Paper nicht richtig geprüft haben. In Erwartung einer Sensation, von deren Glanz auch ein wenig auf sie herabscheint, winken sie den fingierten Mist einfach durch. Und da ist der Druck, mit dem Neuesten vom Neuen immer schneller zu sein als die Konkurrenz. Die mangelnde Zeit, sich eingehend mit einem Thema auseinanderzusetzen und über Fehler zu stolpern. Die Erwartung der Leser, auch das Beste stets kostenlos zu bekommen. Das Internet, das jegliche Informationen jederzeit frei zugänglich zu machen scheint, forciert diesen Trend. Wie kommen wir raus aus diesem Dilemma? Das Bewusstsein, dass es eben oft doch nicht reicht, etwas «mal schnell zu googeln» oder bei Wikipedia nachzuschauen, wäre ein Anfang. Und dann brauchen wir noch Zeit und ein Budget für Skepsis.
 

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