Wie die Deutschen oder wie die Franzosen?

Private Marktplätze sind eine mögliche Lösung, um Publisher zur Teilnahme am RTA-Handel zu bewegen. Wird es bei uns dazu eine Branchenlösung geben?

Das Werbegeschäft im Netz verändert sich grundlegend, denn der Fokus verlagert sich von der Masse zum einzelnen User. Das gut etablierte Routinegeschäft beim Mediaeinkauf, geprägt von fixen Preislisten rund um Tausend-Kontakt-Preise (TKP), wird ersetzt durch Auktionsverfahren. Das Stichwort dazu heisst Real Time Bidding (RTB). Anfänglich wurde diese Methode von Google zur Preisfindung bei Ad- Words eingesetzt, und längst gibt es etliche Ad Exchanges, die nach dem gleichen Prinzip funktionieren. Das begünstigt Einkäufer, die so auf Grund anonymisierter Profildaten genau die Konsumenten für Werbeeinblendungen einkaufen können, bei denen ihre Botschaft voraussichtlich die grössten Erfolgschancen hat. Anders die Publisher. Weil nicht die Qualität, sondern vor allem der Preis im Vordergrund steht, fürchten sie zerfallende Preise. Deshalb öffnen sie ihr Inventar nicht für den automatisierten Handel. Game over für das so genannte Real Time Advertising (RTA)?

Nein, denn die mit RTA verbundenen Ertragspotenziale sind so verlockend, dass sich nun Anbieter mit Lösungen hervortun, die auf die Bedenken der Publisher eingehen. Das Stichwort dazu heisst Private Exchange. Anstatt das Inventar auf dem öffentlichen Marktplatz, den Ad Exchanges, zu handeln, werden – bildlich gesprochen – die Geschäfte in separaten Räumen im angrenzenden Nobelhotel abgewickelt. Nichts Neues, nur eben per Software umgesetzt. Mit solchen exklusiven Marktplätzen können Publisher genau kontrollieren, wie sie ihre Inventar verkaufen. Es kann sehr genau gesteuert werden, welche Einkäufer zu welchen Konditionen auf welches Inventar zugreifen können. Immer noch gibt es einen Handel typischerweise gemäss den RTB-Methoden, weshalb solche Vorzugskonditionen nicht exklusiv einem einzigen Einkäufer eingeräumt werden, sondern einer kleinen, Hand verlesenen Schar (vgl. «prioritized bidding» im nebenstehenden RTAGlossar). So können die Preise auf dem gewohnten Niveau gehalten und gleichzeitig Effizienzgewinne realisiert werden. Zudem haben Käufer und Verkäufer Gewähr, dass für ihre Werbung das Umfeld stimmt und nicht auf einer Premium-Site plötzlich Einblendungen fragwürdiger Herkunft erscheinen, nur weil sie über einen offenen Ad Exchange haben ersteigert werden können.

Vor allem Anbieter von SSP-Lösungen haben ihre Technologien weiter entwickelt, um damit private Marktplätze realisieren zu können. Dazu gehören Unternehmen wie AppNexus, Admeld (im Besitz von Google), PubMatic oder Rubicon Project. Gemäss einer Übersicht von Forrester Research von Anfang 2012 sind nicht alle gleich weit und bieten unterschiedliche oder unterschiedlich ausgereifte Features an. Dementsprechend gibt es unterschiedliche Umsetzungen im Markt: The Weather Channel ist mit täglich 15 Millionen Web-Clients die sechstgrösste Website in den USA. Bei dieser Grössenordnung kann ein Private Exchange auch im Alleingang umgesetzt werden, um die Kaufbegehren optimiert abzuwickeln und daraus Erkenntnisse für die künftige Taktik und Strategie zu gewinnen. Anstelle einer herkömmlichen Sales-Side-Plattform wird die weiterentwickelte Technik eines Private Exchange eingesetzt. In Europa hat etwa die Online-Mediengruppe Hi-Media, der europäische Marktführer für Online-Werbung und elektronischen Zahlungsverkehr im Internet, im September 2011 angekündigt, zusammen mit AppNexus einen eigenen Ad Exchange zu lancieren.

QuadrantOne ist ein Joint Venture der US-Verlage Tribune Company, Gannett, Hearst und New York Times und somit vergleichbar mit den Premium Publishers Network PPN, das bei uns im März 2012 von Tamedia, NZZ und Ringier lanciert worden ist. Anders als bei PPN, wo man vom RTB-Handel noch möglichst lange Abstand nehmen möchte, hat QuadrantOne mit dem Q-Exchange eine eigene Private- Exchange-Lösung im Einsatz. Gemäss Angaben in einem Whitepaper von Admeld können so per RTB bessere Resultate erzielt werden als mit anderen Absatzmethoden. Dank dem gemeinsamen Vorgehen können Konflikte unter den verschiedenen Kanälen auf der einheitlichen Plattform reduziert werden.

La Place Media ist ein vergleichbares Gemeinschaftsunternehmen französischer Verlage, das im September 2012 an den Start ging und über das die Websites von mehr als 80 Medienmarken vermarktet werden. Wie Geschäftsführer Fabien Magalon damals ausführte, hatten die verschiedenen Partner vorgängig eigene Erfahrungen mit RTB bei verschiedenen Anbietern gesammelt und kamen zum Schluss, nur mit einer starken Allianz die erforderliche Marktposition erreichen zu können. So war das erste Ziel denn auch, eine relevante Grösse im Markt zu erreichen, der heute von Googles Ad Exchange und künftig womöglich auch von Facebook dominiert wird. Einzelne Verlage hätten da nebeneinander keine Chance, wahrgenommen zu werden. Hingegen treibe nun die gemeinsame Grösse die Nachfrage an. Einen weiteren Vorteil sieht Magalon in den Daten, die gemeinsam erhoben und für alle Partner zur Verbesserung der Reichweitenqualität genutzt werden.

Ein dritter Pluspunkt liegt im Expertenteam, das das Gemeinschaftsunternehmen allen Partnern für den Umgang mit der neuen Technik zur Verfügung stellt, um etwa die Qualität zu steigern und Kannibalisierung zu vermeiden. Bekanntlich ist man sich in Frankreich an zentralistische Vorgehensweisen gewöhnt, weshalb nicht erstaunt, dass die Mindestpreise (floor price) auf La Place Media für alle Teilnehmer einheitlich sind. Ganz anders präsentiert sich die Situation in Deutschland, wo Ende Oktober 2012 vier unabhängige Player der deutschen Digitalwirtschaft unter dem Label 4Q («for quality») ein Bündnis für mehr Qualität in der Online-Werbung aus der Taufe gehoben haben. Und damit prompt auf Kritik stiessen, vorab von denen, die dazu nicht eingeladen worden waren. Obwohl nicht explizit so artikuliert, wurde doch deutlich, dass die 4Q-Initiative mit Real Time Bidding nicht viel am Hut hat und Qualität als eine Fortsetzung der gewohnten Vorgehensweisen versteht. Eine grosse RTB-Koalition nach französischem Vorbild ist in Deutschland somit nicht absehbar.

So hat Anfang November 2012 der Online-Vermarkter InteractiveMedia in Zusammenarbeit mit AppNexus für seine 60 Sites eine Premium-Publisher-Plattform angekündigt, die ab dem 1. Januar 2013 den vollen operativen Betrieb aufnehmen soll. Gleichzeitig wurde in Kooperation mit der Goethe Universität Frankfurt am Main das Competence Center «Real Time Advertising im digitalen Medienmarkt» gegründet. Damit sollen die Veränderungen im digitalen Medienmarkt durch Real-Time-Advertising- Ansätze wissenschaftlich untersucht und begleitet werden. Und Anfang Dezember hat SpiegelQC, die Vermarktungseinheit der Spiegel-Gruppe, den Launch von «Premium Private Exchange» bekannt gegeben und dabei betont, RTB sei eine wichtige Säule der eigenen Premiumstrategie.

Im Schweizer Werbemarkt sind zwar einzelne Player unter den Media-Agenturen und Vermarktern auf den RTB-Zug aufgesprungen, doch konkrete Initiativen für ein gemeinsames Vorgehen sind derzeit keine zu erkennen. Allerdings mehren sich die Anzeichen dafür, dass man sich in den verschiedenen Unternehmen intensiver mit dem Thema RTA auseinandersetzt. In den kommenden Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob RTA bei uns nach dem deutschen Modell (jeder gegen jeden) oder nach dem französischen (alle gemeinsam) etabliert werden soll. Dabei stellt sich die Frage, ob die drei kleinen Schweizer Teilmärkte in den drei Landessprachen für eigene Lösungen hinreichend gross sind oder ob Kooperationen mit ausländischen Partnern in den jeweiligen Sprachräumen sinnvoller sein können. Umgekehrt böte ein Alleingang mit einer national ausgerichteten Private Exchange-Lösung nach französischem Vorbild attraktive Vorteile: Der automatisierte Handel könnte im ganzen Land so aufgebaut werden, dass die Modalitäten mit allen Beteiligten koordiniert werden. Publisher erhielten damit ein Umfeld, das es ihnen erlaubt, mit attraktiven Inventaren in den RTA-Handel einzusteigen. Um dies zu erleichtern, kann eine Swiss RTA-Lösung ganz wesentlich auf den Aufbau von Know-how und dessen Vermittlung und Anwendung setzen. Schliesslich können so wesentlich bessere Daten gewonnen werden, die allen Beteiligten zur Verfügung stehen sollten.

Christoph J. Walther

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RTA-Glossar

Der Begriff Real Time Bidding taucht immer häufiger auf – und es ist nicht zuletzt der Begriff «bidding» (bieten), der vorab bei Publishern Ängste hinsichtlich eines Preiszerfalls aufkommen lässt. Deshalb wird nun des Öfteren anstatt von RTB von RTA, Real Time Advertising, gesprochen. Zwar kommt es nicht mehr im Namen vor, doch das Prinzip, Preise für einzelne Impressions über ein Auktionsverfahren in Echtzeit zu ermitteln, gibt es dabei weiterhin. Doch es muss nicht im Vordergrund stehen. Denn über RTA-Methoden können Buchungen auch zu den etablierten Fixpreisen abgewickelt werden. Allerdings wesentlich effizienter, als dies mit den bisherigen, oft weitgehend manuellen Vorgehensweisen der Fall ist. Wer sich mit der Welt des Real Time Advertising vertraut macht, stösst auf eine Reihe englischer Fachbegriffe, die wir hier kurz beschreiben und bewusst auf Versuche zur Eindeutschung verzichten.
 
Ad Networks: Diese Unternehmen verbinden Werbetreibende mit Web-Sites, die Anzeigen gegen Entgelt verbreiten wollen. Ihre Hauptfunktion besteht darin, die Werberäume zahlreicher Publisher zusammenzuballen und mit der Nachfrage von Werbekunden zusammenzuführen, die so diese Werberäume an einem einzigen Ort einkaufen können. Ad Networks können dabei spezielle Technologien einsetzen, um sowohl für Publisher wie für Werbekunden Mehrwerte zu schaffen. Sie versuchen, sich mit bessern Methoden zur präzisen Zielgruppenselektion (Targeting) die Qualität der von ihnen vertretenen Publisher und der Qualität der von ihnen vermittelten Werbekunden und ihren Kampagnen zu profilieren. Anders als Vermarkter (engl. Sales Houses) arbeiten Ad Networks oft nicht exklusiv.
 
Ad Exchange: Technolgie-Plattformen, die Angebot und Nachfrage nach Digital- Werberäumen vermitteln. Sie stehen über den Ad Networks, indem diese zu ihren Kunden gehören. Ihr Vorgehen ist Technik-getrieben und auf den Online-Handel in Echtzeit ausgerichtet. Dabei kommen Auktionsverfahren (bidded buying) zum Einsatz, die auf einzelne Werbeeinblendungen für einen bestimmten User ausgerichtet sind. Damit unterscheiden sie sich vom herkömmlichen Vorgehen, da Preise über bestimmte Inventar-Volumen verhandelt werden.
 
Private Exchange: Ein Private Exchange ist ein exklusiver Marktplatz, über den Premium Publisher ihr Inventar bei voller Kontrolle verkaufen können (vgl. nebenstehenden Artikel).
 
Supply Side Platform (SSP): Technische Lösungen, mit denen Publisher Digital-Werberaum für den Echtzeithandel anbieten können. Sie versprechen einen effizienten automatisierten und sicheren Zugang zu den Nachfragequellen und liefern Erkenntnisse über die verschiedenen Ertragsströme und Zielgruppen. Sie werden oft auch als Sell-Side-Plattform bezeichnet und bilden das Gegenstück zu den DSP.
 
Demand Side Platform (DSP): Technische Lösungen, um den Einkauf von Digital- Werbung in Echtzeit einzukaufen, wobei Zielgruppen definiert, Gebote verwaltet und Leistungen gemessen werden können. Damit können Arbeitsabläufe vereinfacht und beschleunigt werden.
 
Trading Desk: Der ganze organisatorische Überbau in Agenturen, um mit einer DSP-Lösung oder eigener vergleichbarer Technik Zielgruppen bei Ad Networks, Ad Exchanges, einzelnen SSP oder anderen entsprechend zugänglichen Quellen einzukaufen und zu optimieren.
 
Data Management Platform, DMP: Eine technische Lösung, mit der im Zusammenhang mit DSP oder SSP Daten verschiedener Quellen beschafft und so verwaltet werden können, damit die Einkäufe resp. Angebote verbessert werden können.
 
Data Supplier: Sie sammeln Daten über Online-Konsumenten (resp. deren Web-Browser), stellen sie zusammen und verkaufen sie in anonymisierter Form, oft über Data Exchanges. Solche Daten betreffen etwa geografische oder demografische Merkmale, den Lebensstil, das Einkommen und Konsumverhalten.
 
Data Exchange: Ein Online-Handelsplatz vergleichbar mit Ad Exchanges, wobei anonymisierte Daten über Online-Konsumten gekauft und verkauft werden kann.
 
Targeted Advertising: Werbebotschaften werden auf Grund von Daten über die Konsumenten individuell ausgeliefert, wobei eine möglichst hohe Übereinstimmung mit der anvisierten Zielgruppe erreicht werden soll.
 
Online Contextual Advertising: Werbung wird auf einer Website in Übereinstimmung mit deren Inhalt ausgeliefert.
 
Behavioral Marketing (Behavioural Targeting): Die Selektion der Zielgruppen erfolgt über Daten über das Konsumverhalten.
 
Retargeting: Die Gestaltung und Auslieferung von Werbebotschaften orientiert sich an Handlungen der Konsumenten im Netz. Werden etwa Bestellformulare auf einer Website zwar ausgefüllt, aber nicht abgeschickt, werden diesem Konsumenten entsprechend gestaltete Werbebotschaften auf anderen Websites zugespielt, um ihn zum Abschluss der Bestellung zu animieren.
 
Price Floor: Minimalpreise, die auf Private Exchanges von den Publishern für spezielle Teile ihres Inventars festgelegt werden.
 
Prioritized Bidding: Mit dieser Technik können Publisher auf Privat Exchanges bestimmten Einkäufern Vorzugskonditionen unter bestimmten Bedingungen einräumen. Im Gegenzug für einen bestimmten Preis und/oder Volumen werden Vorzugsbedingungen (sog. «first look») für bestimmte Inventare eingeräumt. Diese Sonderkonditionen werden oft nicht nur einem Einkäufer, sondern einer ausgewählten Gruppe eingeräumt. Oft sind zusätzliche Handelsmerkmale eines Publishers auf einem Private Exchange (volle Transparenz, engere Zielgruppenselektionen etc.) nur First-Look-Kunden zugänglich. Prioritized Bidding wird auch als «guaranteed RTB» oder «private ad slots» bezeichnet.
 
Second Price Auction: Ein Auktionsverfahren, da der Höchstbietende nur den Preis des zweithöchsten Gebotes bezahlen muss. Dieses System wird im RTA-Handel am häufigsten eingesetzt.
 
Tagging a Page: Das Einfügen von kleinen Programmbrocken in eine Website, wenn sie an den Benutzer ausgeliefert wird, um damit Daten über diesen Besucher sammeln und später verwerten zu können.
 
cjw

 

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