Der Ping-Pong-Spieler

Die Kreativverantwortung ist bei Spillmann/Felser/Leo Burnett SFLB wieder auf zwei Schultern verteilt. Seit Kurzem besetzt Johannes Raggio neben Peter Brönnimann die Spitze der Werbeagentur. Wer ist der neue Executive Creative Director?

Was lassen sich Werber einfallen, damit Grossinserenten eine Anzeige in einer Zeitung wie der WoZ schalten? Zum Beispiel ein Mailing an die Werbeverantwortlichen senden. Oder ein Inserat kreieren. Oder aber etwas ganz anderes. Zum Beispiel einen Sprecher auf die Strasse schicken und den Passanten die Inserate von Migros, Coop, SBB und Co. vorlesen lassen, das Ganze filmen und den Unternehmen zusenden. Mit dem Vermerk: «Wir haben gratis Werbung für Sie gemacht. Das nächste Mal kostet es was.» Sprich – den Inseratepreis. Das ist Werbung, wie sie Adressaten nicht erwarten. Und genau das ist Johannes Raggios Anspruch an seine Arbeit. Werbeideen sollen über das Naheliegende hinausgehen. «Natürlich ist es cool, wenn man gebrieft wird, einen schönen Film zu realisieren. Hervorragende Werbung findet den Weg zum Konsumenten aber oft auf eine Weise, die er nicht erwartet.» Wenn der Kreative über Werbung spricht, lehnt er sich nach vorne und fokussiert sein Gegenüber mit seinen hellen grauen Augen. «Ich mag meinen Job sehr. Es ist eine wunderbare Art, sein Geld zu verdienen.»

Dass er in der Kreation am richtigen Platz ist, musste Raggio allerdings erst herausfinden. Nach dem Gymnasium begann er mit dem Jus-Studium. Ein Fach, das ihn neben Wirtschaft interessierte. Bereits während der Studienzeit wurde ihm jedoch klar, dass er in den Rechtswissenschaften nicht sein Zuhause finden würde. Vielleicht lieber Architektur oder Medizin oder doch Grafik? Er war so volatil unterwegs, dass er zumindest einen Abschluss in der Tasche haben wollte. «Ich dachte: Bring etwas zu Ende, dann versuchst du es in der Werbung.» Werbung fand er als Konsument spannend. Im Kino die ersten Lovely-Spots zu sehen, das war schon etwas. Als Grafiker zu arbeiten, hätte ihn zwar interessiert. Nach dem Lizentiat nochmals ein Studium zu stemmen, kam gleichwohl nicht in Frage. Dann also Texter. Die Sprache «mochte» er, und das Spiel mit den Worten fand er witzig. Wirklich realisiert, dass er mit seiner Wahl richtig lag, hat Raggio erst im Nachhinein. «Manchmal lenkt es einen irgendwo hin.» Sich leiten lassen, mag der Kreative ohnehin mehr als zu planen. Er geniesst es, wenn Dinge einfach passieren, wenn’s rollt. Einer Praktikumsanstellung bei Wunderman folgte ein befristeter, schliesslich ein unbefristeter Arbeitsvertrag. Danach ging es weiter zu Advico Young & Rubicam, Jung von Matt/Limmat und wieder zurück zu Advico. Seit Frühling 2010 ist Raggio bei Spillmann/Felser/Leo Burnett SFLB als Creative Director. An sein Jus-Studium denkt er noch oft – doch ohne Wehmut. «Ich bin extrem froh, dass ich nicht in der Juristerei arbeite – und die Juristerei wahrscheinlich auch.»

Ideen hin- und herspielen

Peter Brönnimann, mit dem sich Raggio seit ein paar Monaten die Kreativspitze teilt, sieht im 37-Jährigen den «perfekten Kreativen». «Johannes hat rasend gute Ideen und ist ein Stehaufmännchen. Er lässt nicht locker und probiert immer nochmals etwas Neues aus.» Und auch Raggio selbst schwärmt von seinem Beruf. «Das Schöne ist, dass wir teamorientiert arbeiten.» Teamorientiert, ein Wort, das oft als Floskel Verwendung findet, weil es schön klingt. Wenn man den Kreativen reden hört, scheint es dennoch richtig am Platz. «Wir treffen uns immer wieder, diskutieren Ideen, üben Kritik, entwickeln noch eine neue Idee. Alle sind daran beteiligt. Am Schluss zählt nur, die beste Lösung für ein Problem zu finden.»

Raggio ist keiner, der sich zur Ideenfindung ins stille Kämmerlein zurückzieht. Seine Werbeideen entstehen zumeist im Gespräch. Natürlich komme man alleine auf Ideen, meint er. Aber: «Im Team geht es leichter.» Mit seinem Kreativpartner Pablo Schencke, mit dem er sich bei SFLB auch das Büro teilt, schiebt er jeweils Ideen hin und her. «Wir ping-pönglen drauf los. Das macht Spass.» Eine Idee entsteht, eine andere kommt hinzu. Und dann wird nochmals alles in Frage gestellt und nach etwas komplett Neuem gesucht. «Lass uns doch noch schauen, ob es nicht auch anders geht. Wenn man‘s ganz anders betrachtet.» Und das Ganze immer auf Spanisch. Raggio, der in Zürich aufgewachsen ist, hat spanische und argentinische Wurzeln. Und Schenke seinerseits stammt aus Chile. Wenn die beiden zusammen Konzepte erarbeiten, kommt internationales Flair in die Schweizer Werbeagentur. «Ich sehe es gerne, wenn die beiden im spanischem Feuer ihr Ping-Pong machen. Da versteht man nur jedes zehnte Wort», so Brönnimann. «Es ist beinah so, als wäre man in einer spanischen oder südamerikanischen Top-Kreativagentur gelandet.» Derzeit ist das Kreativduo gerade mit einer neuen Kampagne für Ovomaltine beschäftigt. Eine amüsante Vorstellung, dass ein Konzept für eine Schweizer Traditionsmarke im «spanischen Feuer» entsteht.

Auch in seinem neuen Job als Executive Creative Director ist Raggio nach wie vor mit Schencke konzeptionell tätig und in die Ausarbeitung von Kampagnen involviert. Allerdings wird er künftig etwas weniger Ideen gebären, dafür etwas mehr jene seiner Kollegen beurteilen. Umgekehrt freut sich Brönnimann, der zuvor alleiniger ECD war, weniger mit Management-Aufgaben zu tun zu haben und «als Kreativer wieder vermehrt kreativ sein zu können». Die Chefrolle zu übernehmen, ist für Raggio eine grosse Herausforderung. «Ein guter Chef zu sein, ist nicht leicht. Es braucht Fingerspitzengefühl. Jeder im Team probiert, jeder hat seine Vorstellungen. Und zuletzt sollten alle zufrieden sein mit dem, was sie tun.» Der Kreative will Teil des Teams sein, um gemeinsam auf eine gute Lösung zu kommen. Ebenso hat er als ECD die Führung zu übernehmen. «Man muss für alles empfänglich sein und dennoch wissen, was man will.» Raggio will als Kreativchef vor allem eine gute Aussage. Darauf fokussiert er beim Konzepten. Machen wir einen guten Punkt? Werbung brauche eine relevante Aussage, nicht nur aus Sicht des Kunden. Gleichermassen müsse die Botschaft für den Konsumenten bedeutsam sein. «Ich weiss, das ist keine neue Erkenntnis. Der Fokus auf die Aussage ist bei mir sehr ausgeprägt, glaube ich. Im ersten Moment ist mir meistens egal, was die Umsetzung ist. Ich will nur wissen: Was sagen wir? Was könnte funktionieren?» Ein Arbeitsweise, die sich durch eine Weiterbildung im Drehbuchschreiben noch verfestigte. Denn, egal ob ein 30-sekündiger Werbespot oder ein Film von 15 Minuten – zuerst geht es mal darum, zu beschreiben, was die Idee ist, was im Film passieren soll – ohne sich in den Details zu verlieren.

Inspiration aus Spanien und der Welt

Für seine Konzepte blickt Raggio gerne über den Tellerrand hinaus. «Ich schaue viel, wie in anderen Ländern geworben wird, und lasse mich inspirieren.» Den internationalen Fokus will er in seine Arbeiten einbringen. Auch für die «schweizerischen» Kunden von SFLB, zu denen neben Ovomaltine unter anderen Schweiz Tourismus oder die Migros-Kunden gehören. So werden die Schokoladenkreationen der Migros-Tochter Chocolat Frey in der aktuellen Kampagne denn auch von Chinesen und Mexikanern als die besten der Welt angepriesen. Der starke Bezug zu Spanien kommt das eine oder andere Mal ebenso zur Geltung. So zum Beispiel in der Namenspromotion für Micasa. SFLB sollte für den neuen Katalog des Möbelhauses einen Tag-on realisieren, so lautete zumindest das Briefing. «Wir haben den Katalog angeschaut und bemerkt, dass viele Möbel Namen von Menschen tragen, und dachten, daraus muss eine Promotion entstehen. Wenn du ein Möbel findest, das denselben Namen hat wie du, kriegst du es billiger.»

Schnell war die Idee zur Hand, dass sich Spanier, die traditionell den Nachnamen von Mutter und Vater behalten und damit schon mal mindestens drei Namen im Pass vorweisen können, aussichtsreiche Kandidaten sind. So freut sich schliesslich im Spot Antonio Orlando Julian Oscar Samuel Molina Salamanca, mit vollbeladenem Einkaufswagen vor der Kasse stehend, auf die fetten Rabatte, die er gleich absahnen wird. Trotz internationaler Verwurzelung hat Raggio nie für längere Zeit im Ausland gelebt. Zwar war er bis zu seiner Studienzeit durchschnittlich fünfmal im Jahr in Spanien – nur eine Weihnacht hat er nicht dort verbracht. Zu einem längeren Aufenthalt kam es hingegen «leider noch nicht». «Ich hätte das gerne gemacht», meint er. «Auf der anderen Seite habe ich aber auch die Zuversicht, dass sich das noch ergeben wird.» Momentan ist sein Platz jedenfalls bei SFLB. Die Zusammenarbeit mit Brönnimann empfindet der Kreative als sehr bereichernd. «Ich laufe bei ihm ins Büro, er läuft bei mir ins Büro, wir tauschen uns aus und bringen einander neue Ideen. Wir profitieren gegenseitig.» Und auch ansonsten fühlt er sich bei der Agentur sehr wohl. «Die Leute hier stehen mit beiden Füssen auf dem Boden.» Das schätzt Raggio, der sich selber als bodenständigen, «geerdeten» Typ beschreibt. «Ich habe hier etwas wie mein Zuhause gefunden. Wenn du Leute um dich hast, mit denen es Spass macht, musst du bleiben.»

Isabel Imper

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In Kürze

Johannes Raggio (37) ist in Zürich aufgewachsen und absolvierte nach dem Gymnasium das Jus-Studium. Den Einstieg in die Werbewelt gelang dem Schweizer mit spanischen und argentinischen Wurzeln als Texter bei Wundermann. Weitere Stationen waren Advico Young & Rubicam und Jung von Matt/Limmat. Seit Frühling 2010 ist Raggio bei der Werbeagentur Spillmann/Felser/Leo Burnett als Creative Director tätig und leitet seit Kurzem zusammen mit Peter Brönnimann als Executive Creative Director die Kreativspitze der Agentur.

 

http://www.youtube.com/watch?v=lPUiES8Iklo

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