Facebooks Filter-Falle

Viele Posts auf Facebook werden den Fans nicht angezeigt, sondern aussortiert – wer diese Hürde nehmen will, muss sich gewaltig anstrengen.

Wer auf Facebook eine Unternehmensseite betreibt, strebt eine möglichst grosse Reichweite, zumal in der anvisierten Zielgruppe, an. Doch diesem Ziel stellen sich sowohl die Facebook-Freunde wie auch Facebook selber in den Weg: Freunde können ihre Freundschaft kündigen (unfriend), aber sie können auch die Mitteilungen einer Fan-Page ganz oder teilweise ausblenden (unsubscribe). Bei einer Kündigung reduziert sich der Freundeszähler entsprechend, doch wie viele Freude auf stumm geschaltet haben, lässt sich inzwischen über das Analyse-Tool von Facebook (Insights) nur noch auf Umwegen eruieren. Wer also seinen Fans zu oft mit zu vielen und belanglosen Posts auf die Nerven gegangen ist, ist dafür diskret, aber nachhaltig bestraft worden – und wähnt sich womöglich im Irrglauben, es seien noch alle Freuende voll auf Empfang.

Für private Nutzer wie für Unternehmen ist die Nachrichtenseite eine der wichtigste Funktionen auf Facebook. Doch längst nicht alle Status-Updates erscheinen hier. Was ein Nutzer zu Gesicht bekommt, darüber wacht Facebooks Edgerank-Algorithmus, der für den Nutzer wichtige Beiträge von unwichtigen trennt. Scheitert ein Status-Update an dieser Hürde, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein Nutzer den Beitrag überhaupt zu Gesicht bekommt. Dass es den Edgerank-Algorithmus gibt und wie er im Groben funktioniert, ist kein Geheimnis. An einer Entwicklerkonferenz Ende April 2010 wurde erstmals über diese neue Masseinheit im Internet ausführlich orientiert. Diese drei Faktoren spielen dabei eine Rolle:
1. Affinität: Die von Facebook gemessene Nähe oder Verbundenheit zweier Nutzer. Je häufiger und vor allem regelmässig ein Nutzer Beiträge auf einer Fan-Page kommentiert, auf «Gefällt mir» klickt oder sich die Pinnwand anschaut, umso höher ist die Affinitätspunktzahl.
2. Gewichtung: Dabei geht es um das Potenzial einer Pinnwandnachricht, weitere Interaktionen auszulösen. Meldungen mit einem Link, einem Bild oder einem Video werden besser bewertet als reiner Text. Von Bedeutung ist aber auch, wie intensiv auf eine bestimmte Statusmeldung tatsächlich reagiert wird.
3. Verfallszeit: Aktuelle Pinnwand-Einträge haben eine höhere Chance, dass sie auch in den Hauptmeldungen der Freunde angezeigt werden. Nach wenigen Stunden ist ein Facebook-Post kaum mehr sichtbar.
Gleich wie die Mechanismen zur Bewertung von Webseiten bei Suchmaschinen (am bekanntesten ist Googles PageRank), macht auch Facebooks EdgeRank klammheimlich die bestgemeinten Marketing-Absichten zunichte. In letzter Zeit sind dazu verschiedene Studien veröffentlicht worden, die alle zu einem ernüchternden Befund kamen: Lediglich etwa 5 bis 20 Prozent der online gestellten Updates schaffen es in die Newsfeed-Anzeige der Fans – ob sie dort dann auch beachtet werden, ist nochmals eine andere Frage.

Spürbare Auswirkungen
Angesichts der drastischen Auswirkungen der News-Filterung durch Facebook, erstaunt es, dass in einer Umfrage der Werbewoche unter Social-Media-Praktikern immerhin mehrere Teilnehmer zu erkennen gaben, sich mit dem Edgerank-Algorithmus noch nicht auseinandergesetzt zu haben: «Wir sind beim Thema Edge-Rank auch noch ganz am Anfang» oder «Wir haben uns mit diesem Thema noch zu wenig tief beschäftigt» und «Wir haben uns ehrlich gesagt zu diesem Thema auch noch keine grossen Gedanken gemacht». Andere können über konkrete Beobachtungen berichten. So stellt etwa Florian Wieser von der Online-Marketingagentur Coundco fest: «Einen extremen Engagement-Rückgang nehmen wir auf keinen unserer betreuten Pages wahr.» Doch er berichtet von anderen Auswirkungen: «Die Nachvollziehbarkeit, warum ein Post es soeben wieder ganz nach oben geschafft hat, ist teilweise schwierig, obwohl die Regeln seitens Facebook logisch erscheinen. Vor allem in den meist kleineren Interaktionssphären von Likes oder Comments fallen dann 10 oder 20 plötzlich extrem ins Gewicht. So kann ein alter Post plötzlich wieder top sein, obwohl diese Information längst vorbei ist. Solche Vorkommnisse stören einen sauber geplanten Redaktionsplan und eine orchestrierte Dramaturgie. Es reisst seriell gepostete Ge-schichten auseinander und ist für das Storytelling also wenig dienlich.» Auch Moritz Adler, Product Manager Mobile Team bei der Local.ch AG, sagt: «Wir spüren die Filterung» und fügt an, «ich finde die Filterung nicht schlimm. Sie führt eher dazu, weniger, aber dafür besseren Content zu schreiben. Wir denken, das ist letztlich auch im Sinne unserer Leser, die wir nicht zuspammen wollen.» Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Dominique Locher, Marketing & Sales Director bei der LeShop SA: «Ob mit oder ohne Newsfilter: In sozialen Netzwerken müssen Infos und Angebote für die Kunden relevant, emotional und attraktiv sein. Daran arbeiten wir im Gesamtunternehmen – nicht nur in den Netzwerken – jeden Tag. Es wäre aus meiner Sicht nicht nachhaltig, hier zu fest auf Algorithmen von Suchmaschinen oder Netzwerken zu schielen.»

Anfänger chancenlos?
Allerdings hat das Wirken des Edgerank-Algorithmus gerade für kleine und vor allem für neue Facebook-Auftritte gravierende Auswirkungen, wie Marie-Christine Schindler, PR-Beraterin und Fachbuch-Autorin, feststellt: «Die Hürde für den Einstieg ist grösser geworden. Eine Organisation, die eine Fanseite auf Facebook betreibt, muss sich erst beweisen.» Wer neu anfängt, wird zuerst die Affinitätsbewertung nach oben bringen müssen. Dazu können Umfragen zu umstrittenen Themen lanciert und zum Kommentieren aufgefordert und Beiträge mit Bildern und Videos gepostet werden. Tauchen neue Posts nun regelmässig bei Freunden im Newsfeed auf und ist das Terrain somit vorbereitet worden, lohnt es sich, die eigentlichen Inhalte zu verbreiten, die vorher einfach untergegangen wären. Doch auch nun muss der Ball ständig in der Luft gehalten und die Edgerank-Bewertung gepflegt werden. Dazu gehört, genau zu beobachten, welche Beiträge am meisten Interaktionen, Gefällt-mir-Klicks und Kommentare auslösen und wann die Facebook-Fans der Seite am aktivsten sind. Damit eine Fanseite Besucher anzieht, muss sie vermarktet werden. Marie-Christine Schindler rät, dies crossmedial auch ausserhalb von Facebook zu tun. «Zuallererst durch eine saubere Integration in der Website, aber auch in allen Kommunikationsmassnahmen vom Footer der Mail, über die Nennung in Printerzeugnissen bis hin zur Verlinkung im Newsletter.»

Auf Facebook verzichten?
Es wird deutlich: Aufbau und Pflege einer Fanseite bei Facebook ist ein hartes Stück Arbeit. Auf lange Sicht braucht es einen taktischen Umgang mit Inhalten, was vielfach erst erlernt werden muss und wofür vielerorts Investitionen in neue Ressourcen nötig sein werden. Leere Einwegkommunikation und Pseudo-Dialoge führen nicht zur gewünschten Zielgruppe, dafür werden Social-Media-Manager zum echten Dialog und zum Community-Management gezwungen. Nicht alle Unternehmen verfügen regelmässig über solche zur Interaktion verleitenden Inhalte für die Fans und können oder wollen sich den Aufwand nicht leisten, um möglichst erfolgreich gegen den EdgeRank-Algorithmus bestehen zu können. So etwa die ARGUS der Presse AG, wo Social-Media-Manager Michael Wuschech zum Schluss gekommen ist: «Diese Ausgangslage ist einer der Gründe, wieso wir auf einen Auftritt bei Facebook verzichten.»

Christoph J. Walther
 

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