Nichts geht ohne Fridolin

Mit einem Leserschaftsanteil von 86 Prozent (2010) im Kanton Glarus ist die kostenlose Wochenzeitung «Fridolin» der unangefochtene Liebling der Glarner. Das aus dem Anzeiger vom Gross- und Kleintal hervorgegangene Blatt wird seit 1965 von der Schwander Fridolin Druck und Medien, Walter Feldmann AG herausgegeben – und ist die erste Gratiszeitung der Schweiz.

Den Begriff «Gratiszeitung» hört Fridolin-Geschäftsleiterin Maya Ziegler allerdings nicht so gerne. Denn leider, so bedauert sie, hat er einen negativen, fast billigen Touch: Was gratis ist, kann ja nicht gut sein. Dabei steckt im Fridolin viel Herzblut. Die Glarner wissen und spüren das und nennen ihre Zeitung zärtlich «Fridli». Woche für Woche jeden Donnerstag landen 29 707 Exemplare des Fridolin in jedem Briefkasten im Kanton Glarus, ausserdem in Postboxen im oberen Teil des Kantons Schwyz und im Linthgebiet. Glarner Rekruten können sich den Fridolin gratis in die RS schicken lassen, und einige Heimwehglarner haben ihren Fridli sogar nach Phuket und in den Vatikan geordert. Dafür aller¬dings muss man ein Abonnement abschliessen.

Die gefühlte Haushaltsabdeckung des Fridolin liegt weit über der realen, die bereits 100 Prozent beträgt. Diese erreicht das Blatt im Kanton Glarus, weil der Fridolin das Glarner Amtsblatt beinhaltet, was von der Landsgemeinde genehmigt wurde. Damit darf der Fridolin auch in die Briefkästen gesteckt wer¬den, die sonstige Streuwerbung mit Stopp-Aufklebern abwehren. Und selbst dort scheint er willkommen zu sein.

Die hohe Reichweite des Blattes ist für Werbe-kunden aus der Region ein gutes Argument, seit fast 50 Jahren auf die Publikation zu setzen. Auch durch die Krise 2009 haben sie das Blatt mitgetragen. So ist der Fridolin in der Lage, in schwierigen Zeiten den Betrieb der angeschlossenen Offset- und Digitaldruckerei zu sichern. Und nicht nur das: Das Krisenjahr 2009, das viele mittlere Unternehmen ordentlich durchgeschüttelt hat, war für Fridolin Druck und Medien sogar das beste der vergangenen acht Jahre, und das ohne Entlassungen oder Frühpensionierun¬gen. «Wir haben einfach alle an einem Strick gezo¬gen», sagt Maya Ziegler nicht ohne Stolz.

Alle für einen

Seit Oktober des vergangenen Jahres hat der Fridolin einen Redaktionsleiter, der die inhaltlichen Geschicke des Blattes lenkt. Auch er heisst Fridolin, weiter Jakober. Der Vorname, so versichert Ziegler augenzwinkernd, sei aber kein Auswahlkriterium gewesen, sondern reiner Zufall. Neben dem Redaktionsleiter wirken an der Zeitung Woche für Woche zwei feste freie Journalisten und eine Kolumnistin mit, die inzwischen 80-jährige Lebenspartnerin von Fridolin-Gründer Walter Feldmann. Ausserdem schreiben für den Fridolin etliche der knapp 40'000 Einwohner von Glarus, Glarus Nord und Glarus Süd sowie Bürger aus den angrenzenden Kantonen. Etwa 60 Prozent der Artikel werden von den Leserinnen und Lesern selbst verfasst. «Jeder Verein, jeder Club, jeder Bürger des Kantons Glarus und der angrenzenden Kantone hat das Recht, im Fridolin einen Text mit Foto zu platzie¬ren», betont Ziegler. Jede Woche müssen Redaktion und Verlagsleitung aus 90 bis 120 eingereichten Texten diejenigen aussuchen, die veröffentlicht werden. Eine schwierige Aufgabe, denn jeder Beitrag ist dem Redaktionsteam gleich wichtig. Ziegler: «Wir werten und gewichten die eingeschickten Artikel nicht, wir lektorieren sie nur. Unser Ziel ist, den Kanton mit allen dort anzutreffenden Meinungen abzubilden und zum Nachdenken und Mitmachen anzuregen. Aber natürlich müssen wir den Umfang jeder Ausgabe an den verkauften Anzeigen orientieren. Darum können wir nicht alle eingereichten Beiträge bringen. Der Umfang des Fridolin variiert zwischen 32 und 64 Seiten.»

Besonderes Strickmuster

Die intensive Einbindung der Glarner Bevölkerung ist nicht die einzige Spezialität des Fridolin. Wer die Titelseite umblättert, stolpert auf Seite 2 und 3 erst einmal über die Todesanzeigen. Maya Ziegler erklärt: «Die Verstorbenen haben bei uns einen Ehrenplatz und landen nicht irgendwo auf den hinteren Seiten. Das ist ein Zeichen unserer Wertschätzung an sie und ihre Angehörigen. Wir wissen, dass wir damit auffal¬len und ernten mit diesem Vorgehen oft auch Kopfschütteln. Wir werden das aber so beibehalten.» Auch ein Sommerloch oder eine Sommerpause kennt man beim Fridolin nicht: «Es gibt immer einen Grund für Werbung und immer Themen, über die berichtet werden muss», sagt Ziegler, «auch und gerade im Sommer. Natürlich müssen wir unsere Werbekunden ab und zu auf neue Ideen bringen. Aber da wir in engem und direktem Kontakt mit ihnen stehen und ihr Geschäft gut kennen, ist das kein Problem. Das läuft hier eben noch.»

Geschichte und Geschichten

Am 29. Oktober hat Fridolin Geburtstag. An diesem Tag im Jahre 1965 betrat der Nachfolger des 1928 gegründeten Anzeigers vom Gross- und Kleintal erstmals die Bildfläche – und das mit 15 003 «postamtlich beglaubigten Exemplaren» gleich als auflagenstärkste Zeitung im Wirtschaftsraum Glarus, anzeigenfinanziert und gratis für alle Glarner. Die Idee, den Fridolin herauszugeben, hatte der 1930 geborene Walter Feldmann der Jüngere, der bis 2009 das operative Geschäft von Fridolin Druck und Medien leitete. Feldmanns Vater, der 1888 geborene Walter Feldmann Senior, Buchdrucker und Schriftsetzer, hatte 1924 die Buchdruckerei Schwanden gegründet und vier Jahre später den Anzeiger lanciert. 1959, mit 29 Jahren, übernahm dann Walter Feldmann Junior auf Wunsch seines Vaters die Buchdruckerei, bereicherte den Anzeiger um redaktionelle Seiten und taufte ihn Fridolin.

Genau genommen ist der Fridolin ein Abfallprodukt. Denn Feld¬mann Junior bezweckte mit dem Druck des Blattes eigentlich, überschüssiges Papier zu verwerten. Es einfach fortzuwerfen, ging dem gelernten Schriftsetzer und diplomierten Kaufmann gegen den Strich – also suchte er Inhalte, mit dem er das Papier füllen konnte. Der Fridolin war geboren. Lange Jahre wurde er zwar in Schwanden geschrieben und gesetzt, aber in St. Gallen bei der Druckerei des St. Galler Anzeigers, Nuber, gedruckt. Die Satzseiten mussten um 16 Uhr in der Druckerei sein, denn direkt nach dem Fridolin lief dort der Anzeiger über die Maschine. «Bei grösserem Umfang kam es vor, dass nicht alle Fridolin-Seiten um 15 Uhr fertig waren», erinnert sich der heute 81-jährige Walter Feldmann. «Deshalb fuhr ein Lieferwagenchauffeur die ersten acht bis zehn Seiten vorab nach St. Gallen, die verspäteten zwei bis sechs Seiten brachte ich dann mit meinem Opel Rekord selbst hinterher.» Das Beladen des Opels mit den restlichen Druckplatten geschah in grosser Hektik. Die von den Schriftsetzern herbeigetragenen Bleiseiten wogen jede etwa 25 Kilogramm und mussten auf dem Rücksitz und im Kofferraum des Opels verstaut werden. «Einmal deponierte ich eine der Platten auf dem Dach des Wagens», erzählt Feldmann. «Ich wollte sie in den Kofferraum legen, vergass sie aber dort und brauste los. Kurz vor Glarus fiel mir die Seite wieder ein. Mich durchfuhr ein grosser Schreck – doch die schwere Bleiplatte lag noch dort, wo ich sie depo¬niert hatte.» Der Fridolin konnte rechtzeitig gedruckt werden, für Feldmann «ein kleines Wunder». Sonst wäre das wohl das erste und einzige Mal gewesen, dass der Fridolin nicht pünktlich bei seinen Lesern gewesen wäre.

Auch heute wird der Fridolin nicht in Schwanden gedruckt, denn die Druckerei besitzt keine Rollenoffset-Maschine. 23 Jahre lang wurde die Zeitung bei DZO Druck Oetwil am See gedruckt, seit deren Schliessung druckt NZZ Print in Schlieren den Fridolin. Her¬gestellt wird die Zeitung aber immer noch komplett in Schwanden, auch wenn die Druckdaten nicht mehr per Opel Rekord, sondern inzwischen digital in die Druckerei übermittelt werden.

Fridolin, der Frauenliebling

Eine Zeitung zu produzieren ist das Eine. Aber wer verteilt sie? Feld¬mann der Jüngere fragte bei der Schwander Post an. Die aber verlangte 1965 für die Disposition des Fridolin einen Preis, der höher war als die Kosten für die Produktion, das Personal und das Papier zusammen. Also gründete Feldmann kurzerhand einen eigenen Vertrieb, die Drucksachen-Verteilorganisation Glarnerland. Das Herz der Organisation waren etwa zehn im Kanton Glarus verteilte Hausfrauen, die sich einmal in der Woche mit der Briefkastenzustellung ein paar Franken dazuverdienten. Sie starteten Mittwochs um 16 Uhr mit dem Verteilen, der letzte Fridolin war am Donnerstag um 11 Uhr im Briefkasten. Bezahlt wurden die Austrägerinnen nicht im Stundenlohn, sondern pro Gewicht der jeweiligen Fridolin-Ausgabe: je grösser der Umfang, desto höher der Lohn. Denn sonst hätte die Bergauf-bergab-Austrägerin von Braunwald einen deutlich höheren Lohn erhalten als ihre Schwander Kollegin. Dieser Unge¬rechtigkeit wollte Feldmann Junior vorbeugen.
Mit dem Fridolin ist in den vergangenen knapp 50 Jahren auch die Verteilorganisation gewachsen. Heute heisst die Distributions¬firma Swiss-Mail und beschäftigt mehr als 60 Austräger, die die Briefkästen nicht nur mit dem Fridolin, sondern auch mit Wahl-propaganda, Flugblättern und Werbeprospekten füttern. Am Ent¬lohnungssystem nach Gewicht hat sich bis heute nichts geändert.

Fokus auf Werbetreibende und Leser

Um den Fridolin zu verstehen und um zu begreifen, warum er seit fast fünf Jahrzehnten blendend und gegen den Widerstand etablierter Tagesmedien – allen voran der Glarner Nachrichten – funktioniert, muss man ein wenig in die Welt des Kantons Glarus eintauchen. Die Glarner sehen sich als eine grosse Familie, hier sagt man einander auf der Strasse noch Grüezi. Jeder kennt jeden, und wer keinen kennt, gehört nicht recht hierher. Das Vereinswe¬sen ist etabliert, jeder Glarner engagiert sich gleich in mehreren Organisationen, und es ist nicht egal, ob der Nachbar dort auch Mitglied ist. In einem solchen Umfeld ist eine Zeitung, die jedem die Chance gibt, sich über alles zu äussern, gleichbedeutend mit einem Stück Heimat, einem Stück Familie. Für die Glarner ist der Fridolin ihre Zeitung. Nicht zufällig heisst das Blatt nicht mehr Anzeiger vom Gross- und Kleintal» wie sein Vorläufer, sondern Fridolin – nach dem Kantonsheiligen Fridolin von Säckingen, der auch das Wappenbild des Kantons ziert. Die Personifizierung ist Programm. Auch die 2000 erfolgte Umbenennung der Buch-druckerei Schwanden in Fridolin Druck und Medien betont die Verwurzelung des Unternehmens in der Region.

Der Fridolin ist seit seinem ersten Erscheinen die meistgelesene Zeitung im Kanton Glarus. Als eine der wenigen Gratiszeitungen ist er immer noch WEMF-beglaubigt. «Auch wenn die Beglaubigung Geld kostet, wir werden daran festhalten», sagt Maya Ziegler. «Denn so können wir unseren Werbekunden garantieren, dass sie mit ihrer Botschaft auch dort ankommen, wo sie hinwollen.» In Zukunft will Ziegler den Fridolin inhaltlich noch interessanter und abwechslungsreicher gestalten und den von der Redaktion produzierten Bei¬trägen mehr Gewicht geben: «Es gibt bei unserer Leserschaft einen Bedarf an kantonsübergreifenden Themen und an Artikeln, die von ausgebildeten Journalisten geschrieben sind, sei es in der Politik oder auch im Sport. In dieser Richtung wollen wir den Fridolin auf¬werten. Das liegt mir persönlich sehr am Herzen, und bis zu unserem Jubiläum 2015 wollen wir dieses Ziel erreicht haben.»

Online gibt es den Fridolin auch, allerdings nur in Form von PDF der Printversion zum Herunterladen. Sie wisse, gesteht Verlagsleiterin Ziegler ein, dass das ein schwacher Punkt im Gesamtauftritt der Gratiszeitung sei. Aber Online und Multimedia gehören trotz der ausgeprägten Innovationsfreude von Fridolin Druck und Medien nicht zu den Kernkompetenzen des Unternehmens. Klar, dass eine Druckerei zunächst einmal auf Papier setzt. Dazu kommt, dass der Fridolin überwiegend von einem älteren Publikum ab 45 Jahren gelesen wird. Ein eigenständiger Online-Auftritt wurde deshalb bisher nicht sonderlich vermisst. Dennoch: Die Zukunft kommt bestimmt. Und für die sucht Ziegler gerade einen kompetenten Partner, der Fridolin bald auch in die Welt der Nullen und Einsen bringt.

Anne-Friederike Heinrich

IN KÜRZE

Die Fridolin Druck und Medien, Walter Feldmann AG wird 1924 als Buchdruckerei Schwanden gegründet. Die erste Druckerei befindet sich in einem kleinen Reihenhaus im Ortskern Schwandens. 1928 kauft der 1888 geborene Gründer Walter Feldmann Senior eine Schnellpresse und druckt den ersten Anzeiger vom Gross- und Kleintal in einer Auflage von 5000 Exemplaren. 1958 übergibt Feldmann Senior die Druckerei an seinen Sohn, der ab 1965 den Fridolin herausgibt. 1971 zieht die Druckerei in das heutige Gebäude an der Hauptstrasse 2 am Ortseingang von Schwanden, 1973 wandelt Feldmann das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um. Seit 1982 arbeitet die Setzerei mit Lichtsatz, zwischen 2002 und 2008 entsteht ein Multimediabereich, der heute allerdings nicht mehr existiert, 2009 stellt die Druckvorstufe auf CTP um. Von 1994 bis 2002 ist der dritte Walter Feldmann als Geschäftsleiter an Bord, dann übernimmt sein Bruder Jürg Martin Feldmann bis Ende 2008 das Ruder. 2009 zieht sich Walter Feldmann der Ältere vom Geschäft zurück, und Maya Ziegler steigt als Verlagsleiterin ein. Ab Juli 2011 übernimmt sie die Verantwortung für Druckerei und Verlag, der jüngste Walter Feldmann ist Mitinhaber des Unternehmens und Delegierter des Verwaltungsrats. Das Unternehmen beschäftigt 45 Voll- und Teilzeitmitarbeiter.
www.fridolin.ch

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