Ein robustes 
Relikt

Obsolet oder unverzichtbar? An der Zukunft der 
Medienmitteilung scheiden sich die Kommunikationsgeister. Doch was sind zeitgemässe Alternativen zur effizienten Journalistenansprache? Und was zum Teufel hat das mit der serbelnden SDA zu tun? Von Oliver Classen

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Mal ehrlich: Wer braucht und besucht im Zeitalter von Skype & Co. schon noch konventionelle Pressekonferenzen? Vor acht oder zehn Jahren waren Live-Präsentationen noch das Mittel der Wahl zur möglichst umfassenden und unmittelbaren Informationsvermittlung. Und häufig auch eine Prestigesache. Heute firmieren fast nur mehr biedere Bilanz- und Behördenanlässe in den einschlägigen Veranstaltungskalendern (die selbst deshalb auch entbehrlich sind). Und wer das aufwendige Ritual trotzdem weiter pflegt, muss den extra dafür anreisenden Medienmenschen einen gehörigen Mehrwert wie Promis oder Provokationen bieten, sonst wirds peinlich oder gar kontraproduktiv.

Die Zeichen mehren sich, dass die Medienmitteilung dasselbe Schicksal ereilt und auch dieses Traditionsinstrument klassischer Öffentlichkeitsarbeit bald das Zeitliche segnet. «Neun von zehn Press Releases verschwinden im virtuellen oder realen Papierkorb», schätzte ein MAZ-Experte schon vor zwei Jahren. Mehr Text als höchstens eine locker beschriebene Seite sei längst prohibitiv, und auch dann bräuchte es heute eine möglichst bildhafte Sprache sowie direkt verlinkte Anreicherungen. Zeitgleich mit dieser recht realitätsnahen Analyse verbreitete News aktuell in seinem «Whitepaper Recherche» jedoch den Befund, dass Pressemeldungen immer noch die meist genutzte Informationsquelle von Medienschaffenden seien – noch vor Suchmaschinen.

Diese Behauptung relativiert sich stark oder verkehrt sich gar in ihr Gegenteil, wenn man in Rechnung stellt, dass News aktuell nicht nur eine hundertprozentige Tochter, sondern faktisch der kommerzielle Arm der Schweizerischen Depeschenagentur ist. Und dass der PR-Dienstleister vom Versand just jener Medienmitteilungen von Unternehmen und Organisationen lebt, die er per Umfrage-basiertem Thesenpapier zum beliebtesten Recherche-Tool hochjubelt. Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse sieht man der serbelnden SDA solche Versuche, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, milde lächelnd nach. Tatsächlich wirft dieser Münchhausen-Stunt aber ein Schlaglicht auf spannende Parallelen zwischen dem promoteten Format und der promotenden Firma.

Aus journalistischer Sicht gibt es nämlich grosse Gemeinsamkeiten zwischen einer Medienmitteilung und einer Agenturmeldung, die ja immer noch das Kernprodukt der SDA ist. Zunächst einmal zeichnen sich beide Textarten – neben ihrem optimierten Informationsgehalt – vor allem dadurch aus, schnell und verlustfrei von hinten weg kürzbar zu sein. Und dann sind die heutigen Rotstift-regierten Redaktionen auf beide Zulieferer immer stärker angewiesen. Kurz: Der immer akutere Zeit- und Personalmangel im Medien-Business alimentiert das Geschäftsmodell von Nachrichten- wie PR-Agenturen. Freilich mit einem für die Absender existenziellen Unterschied: Während der neutrale News-Service weiterhin kostet, sind und bleiben Medienmitteilungen von kommerziellen Interessen gesteuerte Gratisware.

Bleibt die Frage nach verlässlichen und zielgenaueren Alternativen zur anachronistischen Schrotflinte «Medienmitteilung». Empfehlungen hoch bezahlter Berater dafür gibts natürlich zuhauf, freilich alle ohne empirische Evidenz, geschweige denn Erfolgsgarantie. Ob Direktnachrichten via Twitter, fesche Facebook-Videöli, Corporate Blogs, Content Marketing oder die (ebenso banale wie wirkungsvolle) direkten Gespräche mit Medienschaffenden: Keines dieser Komplementärinstrumente hat die Pressemeldung bislang völlig verdrängen können. Die neuerdings ja kommerziell orientierte SDA wäre deshalb gut beraten, ihren neuen Künstliche-Intelligenz-Fokus auf die Entwicklung einer würdigen Nachfolgerin dieser kommunikativen Allzweckwaffe zu richten – zum Wohl ihrer Aktionäre und der gesamten Medienbranche.

Oliver Classen ist Mediensprecher von Public Eye (ehemals Erklärung von Bern) und Kolumnist der Werbewoche.

Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen Werbewoche 10/2018

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