Automatisieren oder umdenken?

Die Digitalisierung der Kundenbeziehungen stellt heute eine unverzichtbare Basis aller Marketing- und Verkaufstätigkeiten dar. Neue Tools und Strategien wären eine Antwort auf den technologischen Wandel der Konsumlandschaft. Marketing-Automations-Systeme beispielsweise. Dafür müssen allerdings die Kommunikation angepasst und die Kanäle sorgfältig ausgewählt werden.

bubbles_social_fusion01

Die Zeiten erfolgreicher Kaltakquise werden immer schwieriger. Heute informieren sich Kunden selbst, nutzen alle Optionen zur eigenständigen Recherche. Dies schafft veränderte Anforderungen an das Content Marketing, das zur tragenden Säule erfolgreichen Marketings wird. Systeme zur Marketing Automation bringen die Kundenkommunikation mit dem digitalen Fingerabdruck auf ein vollkommen neues Niveau. Das heisst aber nicht, dass die Kundenbetreuung und Akquise neuer Kunden vollständig an digitale Systeme delegiert werden dürfen.

Marktgrenzen verschwimmen

Für das digitale Marketing sind das Lead Management und die Marketing-Automation ausserordentlich wichtige Hilfsmittel, auf die auch KMU setzen müssen. Unerwartet finden sich Konkurrenten in Märkten, denen niemand zuvor Beachtung schenkte. Dies, weil sie bisher in einem ganz anderen Bereich erfolgreich waren. Was hat eine Suchmaschine wie Google auf den ersten Blick mit Smartphones, einem selbstfahrenden Auto oder gar mit digitaler Haustechnik zu tun? Wieso produziert Buchverkäufer Amazon eigene Tablets? Die digitale Transformation bietet viele neue Chancen, Geschäfts- und Marktbereiche und die Grenzen verschwimmen und werden unklar. Wie kann Facebook als grösstes Medienunternehmen der Welt keine eigenen Inhalte produzieren oder das weltgrösste Taxiunternehmen keine eigenen Fahrzeuge besitzen (Uber)? Hier entstehen durch neue Denkweisen die Herausforderungen der Zukunft und damit härtere Konkurrenz.

Die Digitalisierung ist unausweichlich, und die Auswirkungen haben Folgen für den Menschen und seine Art, zu kommunizieren. Konsum und Produktion unterliegen diesen neuen Strukturen. Ganz gleich, ob es sich um ein KMU oder um einen Weltkonzern handelt, ist es wichtig, rechtzeitig zu digitalisieren, weil die Lead-Generierung eines der wichtigsten Ziele eines jeden Unternehmens ist, um wachsen zu können. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich das komplexe Geflecht der heute vollständig digitalisierten Marketing- und Verkaufslandschaft ab. Elemente wie Customer Relationship Management-Tools (CRM) und natürlich Marketing-Automations-Systeme erhalten einen hohen Stellenwert, und wer sie zum Nutzen seines Unternehmens einsetzen kann, verschafft sich Vorteile gegenüber seinen Mitbewerbern.

Big-Data: Weit weg von Smart-Data

Nur wer die Daten versteht, kann Mehrwert schaffen. In der Industrie wie etwa der Anlagentechnik, in der Gesundheitsindustrie, im Verkehrsmanagement oder in der Volks- und Sozialwirtschaft ist dies schon heute Alltag. Hier geht es um viele ähnliche quantitative Daten, die rasch sinnvoll verknüpft und analysiert werden können. Dieser Weg wird auch in der kommerziellen Kommunikation die Zukunft sein. Zukunft wohlverstanden. Hier werden heute viele Informationen aus unterschiedlichen Quellen gesammelt. Es gelingt aber nicht immer diese zu brauchbaren Daten zu verknüpfen und zusätzliche Erkenntnisse zu den Entwicklungen von Informations- oder Kaufverhalten zu gewinnen. Dazu würden quantitative und qualitative Daten in der Analyse benötigt. Smart Data ermittelt Tendenzen in Echtzeit und ermöglicht sofortige Reaktionen der Unternehmen auf Trends. Werbetreibende sind konkurrenzfähiger, wenn Sie sich maximal abgrenzen und personalisierte Kaufprozesse für die Kunden anwenden. Dabei könnten Informationen der bereits bestehenden Kampagnen (Facebook, Twitter, Instagram, Pinterest, YouTube, Vergleichsportale usw.) ausgelesen und damit aussagekräftige Daten erzeugt bzw. extrahiert werden. Die Informationen über den Kunden hängen so massgebend von der Technologie der Tools ab. Tools sind meistens Sache der IT-Abteilung, und so könnte das Datensammeln und -auswerten ebenfalls dieser Abteilung «aufs Auge gedrückt» werden. Man kann aber auch zu viele Daten sammeln und letztlich zu wenig nützliche Informationen herausziehen.

Deshalb braucht es eine Strategie, die mit dem eigentlichen Geschäftsmodell verzahnt ist. Es gilt die Lücke zwischen der IT und dem eigentlichen Kerngeschäft der Firma zu schliessen. Dies ist eine grosse Herausforderung und Führungsaufgabe.

Digitalisierung: Kein Substitut des Analogen

Der Schlüssel zum Erfolg bei der Konzeption von Werbe- und Verkaufskampagnen ist die crossmediale Integration. Die Aussage «Print goes digital» wird in Artikeln, in Diskussionen und an Veranstaltungen kolportiert. Unbestritten ist, dass in den kommenden drei Jahren ein verstärkter Shift zur digitalen Produktion und Distribution von Prospekten und Flyern stattfinden wird. Obwohl der Digitalisierungstrend im Kundendialog unumkehrbar ist und die befragten Entscheider grössere Investitionen in diesem Bereich erwarten, zeigt die Gegenwart, dass Digital Analog nicht substituiert, sondern aufwerten und ergänzen wird. Für Unternehmen wird es entscheidend sein, frühzeitig entsprechende Infrastrukturen und Prozesse zu schaffen und in den Aufbau von Know-how zu investieren, um optimal von den Effizienzpotenzialen der digitalen Konversion zu profitieren.

Die Marketing-Automation nicht übertreiben

Wie der Name schon sagt, automatisiert Marketing-Automation die Marketing-Aktivitäten eines Unternehmens. Der geführte, automatisierte Prozess zum Abbilden der Customer Journey beruht auf dem 
digitalen Verhalten potenzieller Kunden. Diese werden gezielt und individuell mit verschiedenen Inhalten eingedeckt und aktiviert. Potenzielle Kunden werden laufend und automatisch eingestuft, z.  B. in Visitor, Lead, Customer. Dieser Ablauf ist Software-
gestützt und automatisch. Damit können Marketing-Kampagnen effizienter geplant und umgesetzt werden. Gerade im Direktmarketing geht es aber nicht nur um die digitale Personalisierung, die in vielen Bereichen noch zu wenig intelligent ist, sondern auch um den direkten Kundenkontakt für den Verkauf. In der Umsetzung des Marketing- und Vertriebskonzepts muss der Übergang von der digitalen Leadgenerierung zum analogen Verkauf zum richtigen Zeitpunkt erfolgen.

KMU müssen ihr Geschäft digitalisieren

Gerade KMU müssen aufpassen, bei der digitalen Revolution nicht abgehängt zu werden. Viele KMU versuchen immer noch, diese neue digitale Welt mit den Gesetzmässigkeiten der realen Welt zu verstehen, ohne die grundsätzlich unterschiedliche Infrastruktur mit einzubeziehen. Denn sie verstehen das Internet lediglich als einen weiteren Absatzmarkt. Je weiter die Digitalisierung eines Unternehmens fortgeschritten ist und den Gesetzmässigkeiten des Internets entspricht, desto reifer und damit erfolgreicher kann es in der Online-Welt agieren. Viele spektakuläre Beispiele zeigen, dass diese digitale Reife einen echten Erfolgsfaktor darstellt und hier noch viel ungenutztes Potenzial liegt. Digitalisieren des Unternehmens heisst nicht einfach, weitere Softwaretools zu kaufen, sondern sich und sein Business neu zu denken. Welches sind meine Herausforderungen? Wie verändert sich das Verhalten meiner Kunden? Ist unsere Vision noch aktuell? Haben wir eine Mission, die wirklich auf den Punkt bringt, was uns antreibt?

Untrennbar mit digitalem Marketing verbunden ist das Konzept der Customer Journey («Reise des Kunden»). Es hilft Unternehmen dabei, seine potenziellen und bestehenden Kunden noch besser zu verstehen und schon im Vorfeld Marketing-Massnahmen gezielt individualisieren zu können. Mit diesem Marketing-Konzept stellt man fest, wie und warum ein einfacher Seitenbesucher zum Lead und später zum Käufer wird. Herausfinden, wie der Besucher auf Produkt oder Dienstleitung kam, können wir in Social Media, Suchmaschinenoptimierung und Content Marketing. Sie spielen in der Customer Journey der digitalisierten Marketing- und Konsumwelt die herausragende Rolle.

Der Datenschutz?

Der Revisionsprozess des schweizerischen Datenschutzgesetzes aus vordigitalen Zeiten ist notwendig. Fraglich ist, ob es gelingt, den Gesetzgeber davon zu überzeugen, dass er sich ebenfalls mit der digitalen Transformation der Wirtschaft beschäftigen muss. Gerade für kleinere und innovative Unternehmen ist es schwierig zu eruieren, was die laufenden Revisionen und Verschärfungen im Datenschutzrecht für sie und ihre Geschäftsprozesse bedeuten. Unternehmen müssen sich auf zahlreiche neue Informations-, Transparenz- und Sorgfaltspflichten einstellen. Bei der Wandlung traditioneller Geschäftsmodelle hin zu mehr Kundennähe und individueller Ansprache darf sich die Schweiz nicht zu starke Selbstbeschränkungen auferlegen. Innovationen würden dann im Ausland stattfinden. Moderner Datenschutz soll den Ausgleich zwischen der Selbstbestimmung der betroffenen Bürger und dem digitalen Fortschritt schaffen, nicht den digitalen Fortschritt in der Schweiz verunmöglichen. «Ohne Informationen keine Daten und ohne Daten keine Aktivitäten. Wir könnten fliegen, müssen aber am Boden bleiben.»

Sind Chatbots die DM-Zukunft?

Jein! Es ist verlockend, wenn automatisierte Lösungen für Online-Dialogmarketing den Verantwortlichen mühsame manuelle Prozesse abnehmen können. Eine aktuelle Erhebung bei 1500 Unternehmen in 80 Ländern bestätigt, dass virtuelle Assistenten, wie zum Beispiel Chatbots, in diesem Jahr das stärkste Wachstum unter den digitalen Kontaktkanälen verzeichnen. Mehr als zwei Drittel der Befragten prognostizieren einen Anstieg bei vollautomatisch abgewickelten Kundenkontakten. Vor allem im Online-Dialogmarketing ergäben solche automatisierten Hilfssysteme definitiv Sinn, da sie den Aufwand der Marketingabteilungen senken und gleichzeitig den Wirkungsgrad von Kampagnen stark erhöhen können.

Dies muss man aber von zwei Seiten betrachten. Laut aktuellen Prognosen soll die Zahl der weltweiten E-Mail-User bis Ende 2021 auf mehr als 4,1 Milliarden und die Zahl der privat oder geschäftlich verschickten Nachrichten auf rund 320 Milliarden ansteigen – pro Tag. Die Menge an Nachrichten zu verschieden zu bedienenden Zielgruppen ist manuell kaum administrierbar. Smarte Hilfssysteme im Bereich der Marketing Intelligence steuern E-Mail-Kampagnen automatisch, indem sie durch das individuelle Verhalten jedes Empfängers lernen und zur richtigen Zeit die passenden Inhalte an die jeweiligen Empfängergruppen schicken. Scriptbasiert ist heute schon sehr viel möglich und wird in der Zukunft ganz selbstverständlich werden.

Die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) sind jedoch noch lange nicht ausgereizt. Die in der Suchmaschine oder im eCommerce generierten Daten bieten immer detailliertere Einblicke in das Kunden- und Kaufverhalten. Die Verbindung von Marketing Intelligence mit den Methoden der Predictive Analytics soll Voraussagen über künftige Kundenbedürfnisse ermöglichen. Dazu braucht es vor allem im direkten Kundenkontakt lernende Systeme. Ich behaupte, dass wir da einfach noch nicht weit genug sind, um den entscheidenden, direkten und persönlichen Verkaufs zu substituieren. Die Branche blickt gespannt in die Zukunft.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Branchenreport «Media Trends I» vom 14. Juli 2017

Heinz Schopfer 2016

Der Autor: Heinz Schopfer ist seit 2013 Verbandsmanager des SDV Schweizer Dialogmarketingverbandes. Er war in den Branchen Detailhandel, IT-Beratung, öffentliche Verwaltung, Werbe- und Medienwirtschaft, Weiterbildung und Unternehmensberatung in verschiedenen Funktionen tätig.

Foto: zVg

Weitere Artikel zum Thema